Mr. Chartwell
- Luchterhand
- Erschienen: Januar 2012
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- : Luchterhand, 2012, Titel: 'Mr. Chartwell', Seiten: 256, Übersetzt: Hans-Ulrich Möhring
A talking Dog
Wer Sebastian Haffners fulminante Biographie über Winston Churchill kennt, ist mit einem Phänomen bestens vertraut: mit einem schwarzen Hund, der ihn laut Churchill aufsuchte, wenn wieder einmal eine schwarze Stunde in seinem Leben anstand. Churchill, der britische Kriegsheld, hatte eine Achterbahn an Erfolgen und Niederlagen hinter sich, war mal Verlierer, mal Sieger, mal Minister, mal ausgebotet, mal auf der linken Seite, dann auf der rechten und kannte sich mit Kämpfen bestens aus. Nur den einen hat er nie erfolgreich bestanden. Den gegen seine Depressionen. Er wusste nur zu gut, dass es Kämpfe gibt, bei denen selbst er einfach nicht die Oberhand behielt.
Wer so skurril in die Geschichte eingeführt wurde, für den gelten keine Grenzen. Also stellt sich bei Esther Hammerhans 1964 ein Untermieter vor, den sie eigentlich gar nicht ins Haus lassen will. Sie zweifelt sogleich an ihrem Verstand. Ein schwarzer Hund steht auf der Fußmatte und sucht eine Bleibe, weil er in der Nähe zu tun hat. Er stellt sich als Mr. Chartwell vor und besitzt neben jeder Menge Chuzpe soviel Charme, dass seine Vermieterin Mitleid mit ihm hat und ihn bei sich aufnimmt.
An der Stelle fragen wir uns gleich, wo sind wir? Biegen wir gerade auf die Harry Potter Schiene ein und entdecken eine versteckte magische Welt? Nimmt uns eine Autorin da etwa auch den Arm? Schnell wird klar, dass dieser Hund eine düstere Aura umgibt, der sich diejenigen, die er aufsucht, nicht entziehen können. Zwar muss er zuerst mit dem Garten Vorlieb nehmen, später unten auf dem Teppich schlafen, doch bald schon kratzt er an Esthers Tür und verlangt Einlass. Gab es nicht auch in Esthers Leben einen Ehemann, der an Depressionen litt?
Rebecca Hunt, die 1979 in Coventry geboren wurde, gelingt das Kabinettstück das ernste Thema Depressionen mit dem typisch britischen Humor von Understatement, Schwärze und absurden Momenten zu unterlaufen. Die Gespräche zwischen Ms. Hammerhans und Mr. Chartwell sind höflich, doch teilweise auf Seiten von Mr. Chartwell unverschämt direkt, zumeist allerdings äußerst amüsant. Schließlich ist Mr. Chartwell eine wichtige Aufgabe übertragen worden. Er ist Winston Churchills schwarzer Hund, der ihm den Tag verleiden soll und der sich trotz dem mürrischen Auftretens des Premiers weder ignorieren noch vertreiben lässt.
Mit liebevollen Blick auf Churchills letzten Arbeitstage, seinem Versuch der Rücktrittsrede Würde zu verleihen, weist die Autorin jene Tragik auf, die einen der beliebtesten und umstrittensten Politiker Großbritanniens im Alter befiel. Er ist nicht mehr ganz Herr seiner Sinne. Wenn er sich Reportern stellt, sind sie ihm alle zwar zugeneigt, doch sie fürchten auch seine sinnlosen Worttiraden. Sie sind so in den Zeitungen nicht abzudrucken, wollen die Presse nicht am Nimbus eines Nationalheiligtums kratzen.
Dass Esthers Mann, den sie schmerzlich vermisst, seine Depressionen jahrelang verborgen hat und letztlich Selbstmord begangen hat, Esthers Schwermut über den Verlust leicht in eine umfassendere Depression umschlagen könnte, lässt den schleichenden Übergang von einem schlechten Tag zu einem bleiernen Leiden spürbar werden. Eine Krankheit, die nicht mit hohem Fieber, einer gebrochenen Rippe oder totbringendem Zellenverfall daher kommt, sondern die einen Menschen in seinen Klauen hält, obwohl er der Alltag scheinbar noch bewältigt.
Ms. Hammerhans und Mr. Churchill werden sich kennen lernen. Sie ihm bei der Niederschrift seiner Rede helfen. Zwei Menschen, die um ihr geheimes Leben mit einem schwarzen Hund wissen. Fast ist man dazu verleitet, sich schenkelklopfend zu unterhalten, wäre das Thema nicht so erschreckend. Wenn ein Premier, ein alter Haudegen wie Churchill, gegen sich keine Chance besitzt, was wird dann aus jenen, die nicht ein solches Kämpferherz besitzen? Wenn einer wie Churchill Momente der absoluten Lähmung erfährt, was sollen dann jene Menschen sagen, die nicht in der Lage sind, über sich selbst zu sprechen? Hier stößt der Roman zuweilen an die Grenzen des Banalen.
Anderseits erzählt der Roman auch davon, wie leicht wir uns selbst in uns verstricken, bis wir nicht mehr imstande sind, uns zu entfliehen. Das Leben ist halt kein Zuckerschlecken. Egal, welchen Platz wir auch immer in den Geschichtsbüchern einnehmen. Vor dem schwarzen Hund ist niemand sicher. Manchmal jedoch gelingt es einer Zimmerwirtin, ihn zu vertreiben.
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