Winston Churchill

  • rororo
  • Erschienen: Januar 2002
  • 0
  • Hamburg: rororo, 2002, Titel: 'Winston Churchill', Seiten: 208, Originalsprache
Winston Churchill
Winston Churchill
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Wolfgang Franßen
931001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2012

Von einem, der ein Krieg war.

Sebastian Haffner war einer der einflussreichsten Publizisten im Nachkriegsdeutschland. Mit seinen Ansichten zuweilen umstritten, doch ohne Zweifel gehörte der 1907 in Berlin geborene Haffner zu einem der schärfsten Analytiker historischer Zusammenhänge. Seine "Anmerkungen zu Hitler", seine "Die verratene Revolution Deutschland 1918/19" oder auch seine Biografie "Winston Churchill" waren sogleich eine historische Betrachtung wie personifizierte Geschichtsbeschreibung.

Winston Churchill, der Stoiker, die Bulldogge, der mitreißende Redner, der verbohrte Wechselgänger zwischen den Parteien, den es mal zu den Konservativen, mal zu den Linken trieb und wieder zurück, ist in Haffners Augen nie ein Politiker gewesen. Lediglich ein versierter Krieger, der ganz eigene Überzeugungen vertrat, der ein verleiteter Triebtäter war. Manchmal lag er richtig. Oft genug lag er falsch. Lange Zeit wurde er nicht nur beim politischen Gegner, vielmehr auch in den eigenen Reihen argwöhnisch beobachtet. Sich ihm auszuliefern bedeutete, von ihm angezogen, abgestoßen oder verschlungen zu werden. Ein Mensch, der niemanden gleichgültig ließ.

Schon sein Vater galt als unzuverlässig, wagte er es doch aus einer Marotte heraus, seinen Sitz im Kabinett hinzuwerfen, weil er fest davon überzeugt war, dass man ihn, der seinen politischen Willen mittels Rücktrittsdrohungen spickte, gleich wieder zurückrufen würde. Haffner zeichnet Winston Churchills Jugend in einer Familie nach, die alles erreicht hat und doch keinen Frieden findet. Er überträgt diese Unrast auf einen heranwachsenden Abenteurer, der als Politiker erst einmal nicht gewählt wird. Dann nach dem Ausbruch aus der afrikanischen Gefangenschaft und wagemutigem wochenlangen Umherirren zu einem nationalen Helden aufsteigt, der von diesem Tag an seinen festen Platz im Unterhaus findet.

Was diese brillante Biografie auszeichnet, ist ihre Parteilichkeit. Hier werden nicht nackt Fakten an Fakten gereiht und gewertet. Wir lesen aus jeder Zeile heraus, dass der Biograf diesen Menschen mit all seinen Schwächen mag. Ja, froh darüber zu sein scheint, dass er den britischen Helden des Zweiten Weltkrieges nicht in einer Übergröße an die Wand malen muss. Fein weist Haffner die geschichtlichen Zufälle nach, die Churchills politisches Überleben erst auf Eis legten (Gallipoli), dann als Großbritannien der Appeasement-Politik eines Chamberlains überdrüssig war, händeringend nach dem Krieger Churchill rief, der allein die Nation noch zu retten imstande war.

Der Autor ist ein Zeitzeuge. Er ist 1938 nach England ins Exil gegangen und ist erst 1954 nach Deutschland zurückgekehrt. Er hat die Wirkung Churchills auf sein Land beobachten können. Einer Nation, die ihn gleich nach dem Krieg nicht mehr als Premier haben wollte. Womöglich war Churchill der einzige, der Hitler hatte aufhalten können. Er hat alles bedingungslos auf einen Sieg über den deutschen Fanatiker gesetzt. Auf Grund seines Einsatzes bei beim Aufbau des Widerstands  wurden gleichsam der Commonwealth zerstört und die wirtschaftlichen Rücklagen Großbritanniens aufgefressen. Laut Haffner ist das Land danach nie wieder auf die Beine gekommen. Um zum Schluss von Stalin und Roosevelt ausgebootet zu werden, als es um die Verteilung der Siegesbeute ging.

Haffner hat abseits der Politik auch einen Blick auf den Literaten -1953 bekam Churchill den Nobelpreis für Literatur - auf den Maler, den Schöngeist, den Workaholic, der sich nicht schonte, und so ein Werk hinterließ, das einen anderen Mann seine ganze Kraft gekostet hätte. Gegen Ende zeigt uns Haffner einen Politiker, der nur noch mit halber Kraft regieren kann, der zum eigenen Mythos geworden ist. Einen Krieger, den seine Kämpfe aufgezehrt haben, der geistig zuweilen verwirrt erscheint. Einen Politiker, der seinen Zenit überschritten hat, aber sich an sein Amt klammert.

Es sind die privaten Momentaufnahmen, nicht zuletzt Churchills Eingeständnis zeitlebens Depressionen gehabt zu haben, die diese Biografie so eindringlich machen. In ihnen gelingt es Haffner, was nur wenige Biografen zustande bringen: Einen Menschen zu zeigen, der zur rechten Zeit am rechten Ort war, den ganz eigene Ziele, Abgründe und Träume antrieben. Einen Menschen, der etwas sein wollte in dieser Welt. Einen Menschen, der Niederlagen einsammelte.

Auch wenn er ab und zu die Finger zu einem Victory-Zeichen spreizte.

Winston Churchill

Sebastian Haffner, rororo

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