Alles hat seine Zeit

  • Manesse
  • Erschienen: Januar 2012
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  • : Manesse, 2012, Titel: 'Alles hat seine Zeit', Seiten: 512, Übersetzt: Susanne Hurni
Alles hat seine Zeit
Alles hat seine Zeit
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Daniela Loisl
781001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2012

  Paranoider Ich-Erzähler auf dem Selbstfindungstrip

Ein Anti-Kriegsbuch hat Flaiano mit "Alles hat seine Zeit" verfasst. Der Drehbuchautor Federico Fellinis und der Erfinder des Wortes Paparazzo für aufdringliche Pressefotografen gewährt mit diesem Buch einen ganz eigenen und psychologisch starken Einblick in das Seelenleben eines italienischen Offiziers.

Eine Autopanne, Zahnschmerzen, der lange Weg zum Arzt und eine Zufallsbekanntschaft mit einer jungen Frau, die dieses Treffen nicht überlebt; dies sind die tragenden Elemente in Flaianos Inszenierung.

Er wirkt nicht unbedingt sympathisch, der junge Offizier, der nach einem Unfall seinen Kameraden im Stich lässt und sich zu Fuß auf den Weg macht, um endlich einen Zahnarzt zu finden.

Schon auf den ersten Seiten lässt Flaiano den Leser wissen, dass sein Protagonist kein Mensch ist, in dessen Obhut man sich unbedingt begeben möchte. Zu selbstbezogen, zu nüchtern, zu kalt wirkt er auf den Leser, ja, regelrecht hinterlistig und falsch, fast möchte man sagen verschlagen stellt sich einem der Offizier dar. Dass der Autor damit aber lediglich an der Oberfläche kratzt und alles nicht so schwarz/weiß ist wie vielleicht anfangs angenommen, lässt er aber schnell zwischen den Zeilen durchblitzen

Hitze, Staub, trockene, fast schon poröse Luft, die Stille und die doch so lauten Geräusche der Natur bilden die fast greifbare Kulisse dieses außergewöhnlichen Kammerstücks. Flaiano lässt seinen Protagonisten selbst erzählen, was natürlich nur eine subjektive Sicht auf die Dinge zulässt. Kein Wechsel der Perspektive, keine Betrachtung von anderer Warte, keine Erklärungen und auch kein Relativieren. Beinharte Realität ohne Beschönigung; Ängste vor Kontrollverlust und Bereinigung der Probleme durch Verleugnung - extreme Facetten eines schwachen und verletzlichen Menschen, der sich doch so stark und überlegen fühlt.

Der Autor erlaubt, dass sich der Leser quasi im Kopf seines Darstellers einnistet und so alle seine Gedankengänge ungeschönt präsentiert bekommt. Kalte, egoistische Überheblichkeit, falsche und zaudernd zugesagte Versprechen, aber auch Selbstzweifel, nagende Gewissensbisse bis hin zu Selbstmitleid, Leugnen der Wahrheit und unheimliche, belastende Ängste werden durch diese Perspektive verständlich und auch glaubhaft, obwohl man sich mit der Person an sich und schon gar nicht mit deren Handeln identifizieren kann. Der Erzähler bleibt einem seltsam fremd, und wenngleich seine Empfindungen, die von Selbstbetrug angefangen bis hin zu erbärmlicher Reue – bei der aber dennoch stets nach einer Rechtfertigung gesucht wird – alle erdenklichen Gefühle widerspiegeln, kann man sein Handeln weder nachvollziehen und schon gar nicht rechtfertigen. Der Protagonist belügt sich selbst und versucht verzweifelt diese Lügen seinem inneren Ich glaubwürdig zu unterbreiten, um endlich von der immensen Last befreit zu werden. Die Angst, sich vielleicht auch noch mit Lepra angesteckt zu haben, macht die ohnehin schon katastrophale Situation für den Soldaten noch dramatischer.

Flaiano zeigt einen zerrissenen Menschen, der verzweifelt versucht Ordnung in sein durch den Krieg sehr ramponiertes Leben zu bringen. Das Buch ist eine Psychoanalyse eines Kriegsgeschädigten, der, ohnehin schon durch die Kriegswirren angeschlagen, auch noch mit einer extremen Situation fertig werden muss. Kein Buch, das man zum Vergnügen oder rein zur Unterhaltung lesen kann, zu intensiv und drückend wirkt die gesamte Szenerie auf den Leser.

So eindringlich Fellinis filmische Werke sich zeigen, genauso prägend und beängstigend tiefgründig bietet Flaianos Roman dazu ein schriftliches Gegengewicht. Es ist die glatte und nüchterne Sprache des Autors, die die Dramatik des Geschehens noch zusätzlich unterstreicht und dem finsteren Kapitel des Krieges so auf sehr innovative und auch subtile Weise ein Gesicht gibt.

Ein Buch mit immenser Präsenz, Tiefe und nachhaltiger Wirkung, das seinen Platz in der italienischen Literatur zu Recht behauptet.

Alles hat seine Zeit

Ennio Flaaino, Manesse

Alles hat seine Zeit

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