Vom Winde verweht
Man sollte meinen, für einen Schriftsteller könne es nichts Schöneres geben, als den Literaturnobelpreis verliehen zu bekommen. William Faulkner sah das 1950 anscheinend anders. Nachdem er sich erst nötigen lassen musste, den Preis überhaupt entgegenzunehmen, fing er Tage vor der Zeremonie damit an, sich zu betrinken. Die Rede, die er in Stockholm hielt, musste nochmals eingesprochen werden, da sie im Saal kaum jemand verstehen konnte. Zu allem Überfluss wurde seine Medaille am nächsten Morgen in einem Blumenkübel gefunden. Zu sagen, er wäre dem Alkohol nicht abgeneigt gewesen, wäre freundliche Untertreibung.
Dennoch hat er es fertiggebracht, selbst im Vollrausch noch Literatur zu schaffen, die eine ganze Generation von Schriftstellern beeinflusst hat. Neben Romanen wie "Schall und Wahn" oder "Als ich im Sterben lag" schrieb er auch Gedichte, Drehbücher und Kurzgeschichten. Zehn dieser Kurzgeschichten, die allesamt zwischen 1930 und 1935 erschienen, wurden nun zu seinem 50. Todestag von Diogenes neu aufgelegt. Ganz edel im Leineneinband, samt Schuber und Lesebändchen. Die Übersetzung aus dem Jahre 1959 dagegen ist doch recht angestaubt. Vielleicht hätte ein Schriftsteller mit Faulkners Format hier etwas mehr Aufmerksamkeit in Form einer Neuübersetzung verdient.
Mit Werken, die sich mit Faulkner und seinem einzigartigen Schreibstil befassen, könnte man ganze Regale füllen. Und wirklich ist es eine Freude, wenn auch nicht immer ganz einfach, ihn zu lesen. Im Gegensatz zum "Perfektionisten" Hemingway zum Beispiel nimmt sich Faulkner weit mehr (künstlerische) Freiheiten heraus. Die Perspektiven wechseln und mit ihnen der Stil. Das sabbernde Geplapper eines Debilen ahmt er ebenso nach, wie die atemlosen Aufzählungen eines aufgeregten Kindes oder den Slang des einfachen Landarbeiters. Er springt so hemmungslos durch Ort und Zeit, dass selbst Literaturwissenschaftler sich über den wahren zeitlichen Ablauf einiger Geschichten uneins sind. Für "Eine Rose für Emily" gibt es das betreffend fast ein Dutzend verschiedene Interpretationen!
Auch die Stimmungen, die Faulkner in seinen Geschichten hervorruft, wechseln ständig, mitunter innerhalb weniger Seiten. Meist liegt es daran, dass durch die Fassade einer bis dahin gemächlichen Familiengeschichte ein dunkles Geheimnis durchschimmert, ein Verdacht, der den Lauf der Geschichte komplett ändert. Die titelgebende Geschichte "Eine Rose für Emily" ist hierfür wohl das prägnanteste Beispiel. "Maultier im Garten" hingegen kann phasenweise als Schauergeschichte durchgehen, wie E.A. Poe sie geschrieben haben könnte. Doch während sich Sprache, Stil und Stimmung ständig wandeln, ist der Schauplatz immer der gleiche. Wie fast sein gesamtes Werk spielen Faulkners Kurzgeschichten am Rande des Mississippis, im fiktiven Städtchen Jefferson in Yoknapatawpha County. Was den Fokus seiner Geschichten betrifft, hat Faulkner sich im Laufe seiner Karriere keinen Schritt bewegt.
Es ist schon erstaunlich, wie Faulkners Blick immer auf der Vergangenheit zu ruhen scheint. Man muss sich die Welt Anfang der 30er Jahre nur einmal vorstellen! Rasante Fortschritte in Technik und Wissenschaft. Der Erste Weltkrieg kaum überwunden, kündigt sich bereits der nächste an. Und das alles auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise. Während sich anderswo die Massen radikalisieren oder sich ganz neue philosophische Strömungen bilden (z.B. Existentialismus), sitzt Mister Faulkner am Ufer des Mississippis und beschreibt die feudale Südstaatengesellschaft, wie sie längst nicht mehr existiert.
Doch obwohl Faulkner ein äußerst konservativer Zeitgenosse war, kann man ihm nicht vorwerfen, diese überkommene Gesellschaft zu idealisieren. Im Gegenteil. In fast jeder seiner Geschichten findet sich dieser Konflikt. Auf der einen Seite hat man die traditionellen Südstaaten mit ihren angesehen Familien als Kulisse. Auf der anderen Seite gibt es kaum ein Werk, in dessen Verlauf diese Kulisse nicht zur reinen Fassade verkommen würde. Und die bröckelt gewaltig! Seien es die verborgenen dunklen Geheimnisse in "Eine Rose für Emily" oder "Das wäre fein!" oder der Gewaltausbruch in "Dürrer September" – die gute alte Zeit ist längst – wie es die Autorin Margaret Mitchell zur gleichen Zeit feststellte – vom Winde verweht.
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