Schwärmereien für den Duce
Keine Frage, Antonio Pennacchi hat mit "Canale Mussolini" ein großes Buch geschrieben. Doch in Zeiten der Krise der Demokratien Europas hinterlässt die Schwärmerei des fiktiven Ich-Erzählers für den italienischen Faschismus einen bitteren Nachgeschmack.
Könnte ein deutscher Autor einen Roman schreiben wie Antonio Pennachis "Canale Mussolini”, einen Roman, der weitschweifig erzählerisch die vorgeblich guten Seiten des Faschismus zum Thema macht? Ein Arbeiterdichter, möglicherweise gar der Tradition der in den 70er Jahren in Westdeutschland so beliebten "Literatur der Arbeitswelt” verhaftet, schriebe einen Roman über eine Arbeiterfamilie während der Nazizeit. Und dann plaudert der Ich-Erzähler mit dem Leser in diesem Ton: "Sie sagen, die Freiheit hat in Italien der Faschismus abgeschafft? Aber in Italien hat es nie Freiheit gegeben, was sollte der Faschismus da abschaffen? Den besseren Herrschaften hat er sie vielleicht genommen, aber die armen Leute hatten sie nie gehabt.” Auch in Deutschland war die Arbeiterschaft gespalten zwischen Linken und Nationalsozialisten. Hat der Nationalsozialismus nicht das Übel der Massenarbeitslosigkeit schnell beseitigt? Konnten nicht Arbeiterfamilien mit KdF-Schiffen erstmals Urlaub machen wie sonst nur die feinen Leute? Und hat der Führer nicht die Autobahnen bauen lassen? Ein solcher Roman aus der Sicht einer nationalsozialistisch denkenden Familie, undenkbar! Und das zurecht. Doch genau das hat Pennachi für Italien getan, und ist für seinen Roman von der Literaturkritik, auch in Deutschland, gefeiert worden.
"Canale Mussolini” erzählt die Geschichte der Familie Peruzzi vom Anfang des 20. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Onkel Pericle Peruzzi, ein überzeugter Faschist und seine Brüder gehören zu den Schwarzhemden der ersten Stunde. Die Familie aus dem Norden gehörte zu den 30000 Menschen, die umgesiedelt wurden, als die Faschisten die malariaverseuchten Sümpfe südlich Roms trockenlegten. Der "Canale Mussolini” hat dem Buch deswegen auch seinen Titel gegeben. Die Peruzzis, zuerst radikale Sozialisten, waren schon in ihrer Heimat Venetien überzeugte Faschisten geworden, allen voran Onkel Pericle, ein Totschläger. Bei einem späteren Besuch des Duce erkennt der Pericle als Kämpfer der ersten Stunde denn auch wieder. Bei Pennachi liest sich das so:
""Wie zum Teufel heißt er nur?”, strengte der Duce sein Gedächtnis weiter an. "Ah ja… Peruzzi! Ihr seid Peruzzi!”, sagte der Duce. "Duce! Duce!”, riefen meine Onkel.” Und dann dreht sich Mussolini noch einmal um, weil er sich erinnert, dass er der Bauernfamilie beim ersten Treffen sogar eine Egge geschmiedet hatte. "Sagt Eurer Mutter, wenn sie etwas braucht, soll sie es mich wissen lassen, nur keine Scheu. Ich kann noch immer gut mit dem Hammer umgehen.”
Es menschelt sehr um diesen Duce, den Pennachi da schildert.
Nein, der Autor verherrlicht den Faschismus nicht. Es wäre ungerecht, ihm das vorzuwerfen. Und doch bewegen sich manche Szenen auf des Messers Schneide. Auch in Italien wäre dieses Buch noch vor einigen Jahren anders aufgenommen worden als heute. Wenn man so will, ist der Roman ein Zeugnis dafür, wie sehr sich das Land in der Regierungszeit von Silvio Berlusconi verändert hat. Der Nachkriegslegende der italienischen Demokratie, ganz Italien sei im Widerstand gewesen, folgte unter Berlusconi die Gegenbewegung. Die früheren Neofaschisten, lange außerhalb des Verfassungsbogens, wurden salonfähig und Regierungspartei. Unter Berlusconi ist der Faschismus in Italien hinausgekommen aus der Tabu-Ecke.
Pennachi ist nicht nur der seltene Fall eines Arbeiterschriftstellers, der lange in einer Kabelfabrik arbeitete und erzählerisch an die Traditionen seiner Heimat anknüpft, wo man abends gern ausladend Geschichten zum Besten gab. Geboren in Latina, eine der faschistischen Musterstädte im, unter der Herrschaft Mussolinis, trockengelegten Gebiet der Pontinischen Sümpfe südlich von Rom, erzählt der Autor in seinem Roman die Geschichte seiner Familie. Mehr als 30000 Italiener wurden damals umgesiedelt. In den trockengelegten Sümpfen machten sie das Land urbar. Hier bekamen sie den Grund und Boden, der ihnen in ihrer alten Heimat von den Großgrundbesitzern streitig gemacht worden war. Der plaudernde Erzählton des Ich-Erzählers, ein bisschen Laurence Sternes "Tristam Shandy” nachempfunden, macht das Buch leicht lesbar. Bisweilen wird es jedoch etwas weitschweifig, vor allem im ersten Teil. Und doch: Pennachi kann erzählen, er kann mitreißen. Deswegen ist der lockere Ton, in dem er die Geschichte der Familie beschreibt, mit Blick auf die Interpretation der Geschichte bisweilen vielleicht doch riskant. "Als wir in Griechenland einmarschierten – obwohl er (Hitler) es ihm (Mussolini) vorher in jeder Weise gesagt hatte:
"Lass den Balkan in Ruhe, mach da keine neue Front auf, kümmer’ Dich um Nordafrika, dann erobern wir Suez und Ägypten” – traf den Adolf fast der Schlag! Aber weshalb zum Teufel seid ihr nach Griechenland gegangen, ohne mir was davon zu sagen? Ja, kannst Du mir nicht wenigstens Bescheid sagen?”
Bei einem Erzähler, der seine Schwarzhemd-Onkel allzu schwärmerisch von den Vorzügen des Faschismus berichten lässt, bleibt bei dieser Form der Ironisierung zumindest ein kleiner Nachgeschmack des Zweifels.
Dies umso mehr, als Pennachi politisch kein unbeschriebenes Blatt ist. Seinen Traum, die Verschmelzung der sozialistischen Linken mit der nationalistischen Rechten, hat der Autor selbst vorgelebt. Von einer rechtsextremen zog es ihn zu einer linksextremen Partei, jetzt wieder zurück in eine vage rechte Mitte. Er bricht nicht nur mit einem Tabu, indem er eine Familiensaga schreibt, in der bekennende Faschisten im Mittelpunkt stehen. Er räumt auch mit einer der Nachkriegslegenden Italiens auf, die Italiener seien stets ein Volk antifaschistischer Widerstandskämpfer gewesen. Dass viele Siedler damals an der Seite der Deutschen gegen die Alliierten kämpften, wird in Italien bis heute gerne verdrängt.
"Es ist nicht meine Schuld, wenn die Geschichtsschreiber sich nur auf Militärarchive stützen”, meint der Erzähler, wieder einmal im direkten Dialog mit dem Leser, "dort findet man unsere Namen natürlich nicht. Sie werden zugeben, es klingt besser und ist weniger peinlich, wenn in den Berichten zu lesen ist: "grausame Deutsche” statt "ein paar hergelaufene Siedler””. Und: "”Die Deutschen”, sagten nun auch wir, "das haben alles die Deutschen gemacht.””
"Canale Mussolini” ist dennoch ein herausragendes Buch. Bisweilen etwas zu weitschweifig, bietet es ein pralles Bild einer italienischen Familie im Faschismus. Und doch bleibt am Ende eben dieser fade Nachgeschmack.
"Es war unter dem Faschismus, dass uns erstmals jemand zuhörte”,
lässt Pennachi seine Figuren sagen. In einer Zeit, in der wegen der Finanzkrisen immer mehr Menschen Angst haben und ohnmächtig vor einer Finanzindustrie stehen, die die Politik wie Marionetten zu beherrschen scheint, ist es nicht ganz unproblematisch, eine Familie im Kampf gegen das Establishment ausgerechnet vom faschistischen Gegenmodell schwärmen zu lassen.
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