Willkommen auf Skios
- Faber & Faber
- Erschienen: Januar 2012
- 2
- London: Faber & Faber, 2012, Titel: 'Skios', Originalsprache
Die Philosophie der leeren Tassen
Dass Michael Frayn sich in der Komödie bestens auskennt, hat er nicht erst mit seinem Theaterstück "Der nackte Wahnsinn" unter Beweis gestellt. Darin kehrt er das Bühnengeschehen um und rückt das Leben in der Kulisse in den Mittelpunkt. Eine auf den Kopf gestellte Commedia dell’arte lief so vor den Augen der Zuschauer so ab und auch in seinem neuen Roman fühlt der Leser sich in das deftige Treiben einer italienischen Komödie versetzt. Allerdings wie Shakespeares "Sturm" auf einer Insel gestrandet.
Wer möchte ich sein, wenn ich nicht ich bin? Die meisten stellen sich diese Frage zwar, aber besitzen nicht Oliver Fox Chuzpe, verstrickt in allerlei Liebschaften, sich auf dem Flughafen von Skios mit fremdem Gepäck, frisch vom Laufband, als Dr. Norman Wilfried auszugeben. Von einer hübschen Empfangsdame zu einem bewachten Luxusanwesen geleitet, verstört ihn nicht mal die Aussicht, vor einem erlesenen Publikum einen Vortrag halten zu müssen. Kommt Zeit, kommt Rat. Oder die komödiantische Verstrickung.
Mit welcher Unverfrorenheit Fox die ersten Schwierigkeiten auf sich zukommen lässt, Ausreden aus dem Ärmel schüttelt, erweist ihn als einen Mann, der das nicht zum ersten Mal macht. Er ist ein Schwindler, ein Hasardeur, ein Hochstapler. Natürlich trifft auch der wahre Dr. Wilfried ein, wird jedoch sogleich in eine furiose Verwechslungsszene verstrickt. Mit einem Taxifahrer, der vorgibt, Englisch zu sprechen und dessen sprachliche Verwirrung aus dem Namen "Oliver Fox" das wohl klingende griechische Wort "Phoksloliva" formt. Dr. Wilfried landet so in Fox Domizil, dem Liebesunterschlupf. Das wiederum das Wissenschaftsgenie für ein Haus der Fred-Toppler-Stiftung hält, die ihn eingeladen hat.
Von da an legt Frayn ein solches Tempo an Verwicklungen, vermeintlichen Gefahren, menschlichen Verwirrungen vor, dass die einzelnen Stränge, wer gerade mit wem, was gerade wo geschieht, sich nicht nacherzählen lassen. Geben wir bei guten Komödien ihren Inhalt wieder, wirken sie oft banal. Die Meister ihres Faches erzählen sie mit einer solchen Leichtigkeit, dass es uns nicht mal stört, dass ausgerechnet jene Frau, die Oliver Fox betreut, befreundet ist mit jener Frau, mit der Oliver Fox eigentlich in seinem Domizil ein paar erotisch aufgeladene Schäferstündchen verbringen wollte. Die Scharniere der Komödie knirschen gewaltig. Bei Frayn bemerken wir sie durchaus, aber wir amüsieren uns halt auch köstlich.
Allein die Figur des Besitzers von Skios Taxi, – sie wäre eine Paraderolle für Peter Ustinov gewesen – erinnert an Shakespeares Fallstaff, an einen Theaterbuffon, der das komplizierte Leben leicht nimmt und dadurch Verwirrung stiftet. Er hat es nicht nötig, sich wie Dr. Wilfried mit Bedeutung aufzuladen oder wie Oliver Fox die eigene Bedeutungslosigkeit durch ein abwechslungsreiches Liebespiel zu vertreiben. So spiegelt Frayn an den Engländern das harte Arbeitsleben und das Dolce Vita und kommt zum gleichen Schluss: Das kann nicht alles gewesen sein.
Hinter allem steckt die Frage, wer sind wir überhaupt? Wenn es so einfach fällt, jemand anderer zu sein? Wir müssen nur etwas schauspielern können, ein paar Allgemeinplätze in die Welt hinausposaunen, und schon mag man uns. Oliver Fox ist bei den Gästen der Fred-Toppler-Stiftung so beliebt, weil sie seine simplen Weisheiten als tiefere Deutung des Lebens aufsaugen, süchtig nach Rat sind, weil sie sich keinen eigenen mehr geben können.
Während der wahre Wissenschaftler, der Erfinder der "Szientometrie", jener wissenschaftlichen Analyse, die eigentlich von der letzten Kursschwankung bis hin zu familiären Problemen alles erklärt, im Chaos mit einer jungen Frau zurück gelassen wird, die ihn verdächtigt, sie vergewaltigen zu wollen. Er wird sich profanen Dingen zuwenden und allmählich die Gewissheit gewinnen, dass es da wohl im Leben noch Dinge gibt, die er verpasst hat.
Sind wir nicht bereits jemand ganz anderes, wenn jemand anderes uns dazu macht? In seinem großartigen Roman "Das Spionagespiel" hat der britische Autor diese Frage schon mal gestellt. In ihm legen sich zwei Jungen auf die Lauer und allein durch deren Phantasie verwandeln sie das Leben einer Mutter und Hausfrau in eine deutsche Spionin.
Michael Frayn geht in seinem neuen Roman der Frage nach dem Glück nach. Wir haben ständig Glück. Was könnte nicht alles schiefgehen in unserem Leben, wenn sich jemand nur unseren Koffer am Flughafen nimmt. Wir dürfen uns doch glücklich schätzen, dass unsere Tage so normal sind. Selbst Meister ihres Fachs wie Oliver Fox, die sich im Minenfeld von Schwindel und Hochstapelei zu bewegen wissen, tauchen letztlich im Chaos der eigenen Lügen ab. Wer will das schon?
Ihm dabei zusehen zu dürfen, ist jedoch das reine Vergnügen.
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