American Spirit.
Wer das Elfmeterdrama beim Champions-League-Finale in München hautnah miterleben durfte weiß, dass der Sport Dramen schreibt. Ein Spieler versagt und wird an den Pranger gestellt. Womöglich zerbricht er, weil er anfängt, sich zu hinterfragen, und sich damit seiner wertvollsten Gabe beraubt: Nicht darüber nachzudenken, was er da eigentlich macht. Ähnlich soll es ja bei der Liebe sein. Denken wir erst einmal warum und weshalb, ist sie schon verflogen. Versuchen wir die Gründe unseres Erfolgs im Beruf zu addieren, fällt der Aktienkurs.
Vergleichbare Romane wie "Die Kunst des Feldspiels" suchen wir unter deutschen Autoren vergeblich. Zwar verirren sich Schriftsteller wie Friedrich Christian Delius mit "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde", oder Burkard Spinnen in "Mehrkampf" schon einmal in die Nähe des Sports, doch amerikanische Autoren wie Philip Roth in seinem verästelten "The Great American Novel" oder das Werk Paul Austers erheben eine Sportart zum nationalen Mythos.
Immer tauchen die Helden aus dem Nichts aus, werden entdeckt, schlagen sich mit mehr oder weniger verhängnisvollen Widrigkeiten herum, um am Ende über sich selbst zu siegen. Allerdings nur, wenn sie dem ehernen Gesetz Hollywoods folgen. Der Shortstop Henry Skrimshander ist ein Glückskind, seine Karriere entwickelt sich von leichter Hand. Die Türen werden vor ihm aufgerissen, bevor er überhaupt die Klinke drücken kann. Plötzlich sieht er sich in die Mannschaft der "Harpuniers" am privaten Westish College versetzt, die ihm auf Grund seiner blinden Fähigkeit, jeden Ball zu fangen und blitzschnell ins Ziel zu werfen, in ihren Reihen aufnimmt. Alles geht gut. Er ist das Übertalent seiner Generation. Jeder will ihn haben. Die Agenten stehen Schlange.
Doch dann, eines Tages dieser eine fatale Wurf, der seinen Teamkollegen Owen – der auch noch schwarz und schwul ist - auf direktem Weg ins Krankenhaus bringt, weil der Ball nicht im Handschuh des Fängers, sondern in Owens Gesicht landet und ihn ins Koma befördert. Eine Geschichte, die in der Olympiaberichterstattung nicht vorkam. Da galt bereits der vierte Platz als Tragödie. Wie viel hält einer aus? Wie steht er wieder auf? Wie findet er wieder zu sich selbst zurück? Das kennen wir von uns selbst, beginnen wir über unser Leben nachzudenken, stecken wir mitten in der Krise. Nicht unweit davon lauert dann die Depression. Dann geht es erst richtig los. Alkohol, Drogen, Tabletten, Therapie. Und nichts hilft gegen die Lähmung. Warum soll es Henry Skrimshander da anders gehen? Obwohl es ja in der Welt des Sports immer heißt: Irgendwann platzt der Knoten.
Gleichzeitig ist Harbachs Roman auch eine Betrachtung darüber, wie wir uns gerne sehen und wie wir gerne gesehen werden. Kaum fliegen die Bälle nicht mehr so perfekt wie zuvor, gerät die Meisterschaft ins Stocken, wird der Held plötzlich beargwöhnt. Das erträgt er nicht. Er will so sein wie früher. Nur dass der Tunnel, in den sich jeder Sportler, Maler, Musiker, Schriftsteller, Börsenmakler versenkt, lichtdurchflutet zerbricht, zeigt sich der erste Riss darin.
Der Roman erinnert in seinem behaglich dahin fließenden Stil an John Irving. Wie er kann Harbach nicht unter fünfhundert Seiten eine Geschichte erzählen. Es gibt zu vieles am Rand aufzulesen, die das Leben rund um einen kleinen, oft signierten Baseball ausmacht. Der 1975 in Wisconsin geborene Autor ist Mitherausgeber der Literaturzeitschrift n+1, kennt sich also mit literarischen Strömungen bestens aus. In "Die Kunst des Feldspiels" widersteht er der Versuchung, eine einfache Geschichte, die schon hundert Mal erzählt und überhöht wurde, mit Tiefgründigem zu überfrachten.
Allerdings ist der Collegepräsident Guert Affenlight, der bigott Verliebte, der sich als Sechzigjähriger einem Coming Out gegenüberstehen sieht, trotz allem Witz und schillerndem Auftreten letztlich ein Geschöpf der Fünfziger. Hausbacken, anpassend wird das Schwulsein als verhängnisvoll und belastend betrachtet, so dass ihm nur die Flucht in die innere Immigration bleibt. Da sind viele Stellen im Roman frischer, moderner gestaltet.
Auch Affenlights Tochter Pella, die aus einer Ehe flüchtet und noch einmal von vorne beginnen will, indem sie ihre verlorene Collegezeit nachholt, wirkt postfeministisch, trotz aller Rebellion. Auch der sich als Versager ansehende Mike Schwartz, der sich dem Gefühl zu entziehen versucht, das ihm der Stempel des ewigen Losers bei seiner Geburt auf die Stirn gedrückt wurde, ist dem uralten amerikanischen Traum verfallen. Jeder kann es schaffen. Wenn er nur will. Wenn er hart genug arbeitet. Doch niemand von ihnen weiß, wie der Ball fliegt, welche Bahn er nimmt, ob es zum Sieg reicht.
Scheinbar unschuldige Menschen überlassen sich der Naivität, dass schon alles gutgehen wird, dass der Aufstieg reibungslos bis zum Gipfel führt. Paul Auster führt in seinem neuen Roman "Sunset Park" gleich eine ganze Reihe gescheiterter Baseballhelden an, die der Makel, es nicht geschafft zu haben, zu psychischen Wracks machte.
Chad Harbach hingegen ist mit "Die Kunst des Feldspiels" etwas gelungen, was sich offenbar nur amerikanische Autoren trauen, entlang der trivialen Weisheit mit Witz vom Leben zu erzählen und Banalitäten nicht zu scheuen.
Und so mündet das Leben in Paragraph 33. der Baseball-Fibel eines Mike Schwartz:
"Verwechsle nicht das erste und das dritte Stadium. Das gedankenlose Sein kann jeder erreichen, die Rückkehr zum gedankenlosen Sein nur sehr wenige."
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