Jeder beurteilt das Buch nach dem Umschlag
Wer A.L. Kennedy zum ersten Mal liest, mag sich in die filmische Welt eines David Cronenbergs versetzt fühlen. Ihre Sprache springt von Stein zu Stein. Manchmal ist es nur ein Hüpfen, oft wagt sie den Spagat, während ihre Geschichte sich schlängelnd eine Bahn sucht. Mitunter hängen die Menschen darin geradezu obsessiv aneinander, fühlen sich um ihre Liebe betrogen, und es schlägt dem Leser eine sprachliche Distanz entgegen, die atemberaubend ist. Kennedy will nicht, dass die Geschichte einen von den ersten Seiten an aufsaugt. Dass wir gleich unsere Sympathien verschleudern. Wir sollen zusehen, zuhören, zuschauen, betrachten. Zeuge sein. Auf der Suche nach der Erlösung, führt der Pfad der Erkenntnis immer übers innere Sterben. Ich merke, ich werde betrogen, dann muss ich es zulassen, die Wahrheit zu begreifen. Ich merke, wie ich liebe, dann muss ich mir eingestehen, dass ich von nun an ohne Schutz bin.
Eine Schriftstellerin, die es einem schwer macht ihren Roman zu rezensieren. Viel lieber würde man sie immer wieder selber sprechen lassen:
"Heute aber liegt er Kopf an Kopf mit seinem eigenen Wachstum. Morgen wird es ihn wahrscheinlich überholen, in dumpfe Unschicklichkeit hüllen."
Kennedy vermag in Bildern ganze Kapitel zu erzählen. So dicht liegen sprachlicher Furor neben Sarkasmus, Witz, den dunklen Seiten, dass die im Roman aufblitzende Welt der Magier, Zahlenverdreher wie geschaffen für sie sind. Ein Schiff voller Narren bewegt sich von Southhampton in Richtung New York. In Versatzstücken bekommen wir sie alle vorgestellt. Manchmal in der direkten Erzählung, oft genug als Bruchstück, als Reflexion. Wer kennt das nicht? Wir denken an eine verflossenes Liebe, an eine Stück Weges, das man gemeinsam gegangen ist, und man fragt sich ernsthaft, wie hätte mein Leben ausgesehen, wäre ich bei ihr, bei ihm geblieben.
Für Elisabeth Barber, die kurz vor der Verlobung mit Derek steht, ist dies Arthur Lockwood. Ein Möchtegernmagier von der Sorte, die gerne ihre Séancen so vorbereiten, dass sie all das, was sie den Toten entwinden, zuvor in Erfahrung gebracht haben. Es bedarf einer Menge Theaterdonner, um das kostenpflichtig an den Mann und die Frau zu bringen. Elisabeth war lange Zeit Arthurs Assistentin, bis sie das Leben mit ihm nicht mehr aushielt. Mit Blick auf ihre nahe Zukunft, ranken um die gemeinsame Vergangenheit die schönsten Blüten. Vor allem da Lockwood inzwischen vermögend ist, und Derek, der ihr die Ehe anträgt, ihr nicht gerade ein aufregendes Leben in Aussicht stellt.
Anders als in Cronenbergs Filmen sezieren die Menschen sich bei Kennedy nicht selbst und überantworten sich der Kälte. Die schottische Autorin lässt ihre Passagiere allzu deutlich das Risiko spüren, was es bedeutet, mehr vom Leben, als einen Acht-Stunden-Tag, eine sich selbst genügende Familie zu besitzen.
Wenn das Spiel mit der Sieben getrieben, addiert, subtrahiert, dividiert und multipliziert wird, so dass am Ende aller Rechenoperationen immer wieder die Sieben steht, mag das beim ersten Mal voller Zauber sein. Was für eine Magie. Beim zweiten, dritten Mal bewundert man das Zahlengenie, nur noch für seine Fertigkeit, seine Rechnung so zu modifizieren, dass es m Ende immer wieder auf die Sieben hinaus läuft. Warum also nicht auch in der Liebe, etwas hinzufügen, es wegnehmen, den einen Satz aussprechen lassen oder ganz beredt schweigen, damit am Ende immer dasselbe herauskommt? Die Liebe. Das Leben. Oder? Warum die Antwort nicht in dem blauen Buch finden, das Elisabeth Arthur schenkt und das wir in Händen halten. Wie durch einen getürkten Zaubertrick.
Kennedy ist keine Romantikerin. Zwar ist die große, erfüllende Liebe zumeist die Antriebsfeder für jeden Abgrund, doch sie schaut den Menschen in den Kopf, entreißt ihnen die Gedanken, und wirft sie wie ein frisch ausgeschnittenes Stück Fleisch auf den Tisch. Was in anderen Roman stringent von der Kindheit übers Erwachsenwerden bis zu einem bestimmten, alles verändernden Schicksalsschlag führt, ist bei dieser Autorin, als veranstalte sie selber eine Séance.
Wir bewegen uns auf schwankendem Boden, wenn wir uns A.L Kennedy und ihren Geschichten anvertrauen. Nicht erst seit "Gleißendes Glück" bleiben wir dann manchmal verstört zurück. Die Autorin hat Verständnis für all die Lügen, den Schwindel, die Hochstapelei. Das Leben lässt sich nur durch Täuschungen ertragen. Dechiffrieren wir uns bloß nicht selbst. Wir werden auseinanderfallen wie ein Kuchen.
"Ich würde dich berühren", heißt es zum Schluss. "Ich würde dir alles geben."
Aber da gibt es diesen kleinen Satz, der all dem vorgeschoben ist:
"...wenn ich auf festem Grund bei dir wäre..."
Zum Glück sind wir das bei dieser Autorin nie.
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