Shades of Grey - Geheimes Verlangen

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2012
  • 4
  • Australien: The Writer's Coffee Shop Publishing House, 2011, Titel: '50 shades of grey', Originalsprache
  • München: Goldmann, 2012, Seiten: 608
Shades of Grey - Geheimes Verlangen
Shades of Grey - Geheimes Verlangen
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Romy Fölck
301001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2012

Das Geheimnis millionenfachen Verlangens

Woher kommt es denn nun eigentlich, dieses Phänomen "Shades of Grey"? Woher rührt der Sensationserfolg der Trilogie mit der phallusförmigen Blüte auf dem Cover, die sich von einer kleinen Auflage in einem australischen Selbstverlag durch Mundpropaganda zum millionenfach verkauften Weltbestseller entwickelte? Eine leichte Ahnung bekommt man, wenn man die ersten Seiten gelesen hat.  Denn der Megaerfolg hat in seiner Grundidee schon einmal funktioniert: Ein junges unschuldiges Mädchen verliebt sich Hals über Kopf in einen attraktiven Mann, der sie vor sich warnt, den ein gefährliches Geheimnis umweht.

War es bei den Bestsellern der Vampir-"Biss"-Saga von Stephenie Meyer die Tatsache, dass Edward ein Vampir und die naive Bella seine große Liebe war, so ist es bei "Shades of Grey" die dunkle, sadomasochistische Seite von Christian, die für die Jungfrau Anastasia so unheimlich wie anziehend wirkt. Dass noch viele weitere Parallelen zwischen den Bestsellern bestehen, ist ebenfalls kein Zufall, wurde E L James doch durch die Bella-Edward-Story zu ihrem Plot inspiriert: Anastasia ist mindestens so schön, naiv und unbeholfen wie Bella, fährt auch eine alte Schrottkiste, ihre Eltern leben ebenfalls getrennt, beide Mädchen sind recht unerfahren in der Liebe und klagen über ein mangelndes Selbstwertgefühl. Christian und Edward sind dagegen weltgewandt, smart und so einfühlsam wie launisch, können fliegen (der eine mit dem Helikopter der andere durch seinen Vampirstatus) und stammen beide aus gut situiertem Haus, während die Heldinnen in eher bodenständigen Verhältnissen leben.

Nur eines tun Christian und Ana gleich von Anfang an, wo Edward und Bella sich doch recht lange zierten: Sie haben Sex, und zwar rund um die Uhr. Sanft, hart, mit und ohne (Bondage-)Spielzeug, im Bett, auf dem Schreibtisch, bei seinen Eltern und in der "Kammer der Qualen", wie sie sein hauseigenes SM-Studio nennt. All diese körperlichen Sinnesfreuden werden von der Autorin detailliert und nicht gerade in salonfähigem Erzählton über viele Seiten ausgebreitet. Das "F"-Wort liest man ständig, ist es doch das, was Christian tut, wenn er Sex mit einer Frau hat. Sagt er jedenfalls, mehr als einmal. "Hart" tut er es, wohlgemerkt! Da kann man schon mal schmunzeln, dass das Wort "hart" in einem so weichgespülten Sex-Roman ständig wie mit hochgehaltenem Zeigefinger serviert wird. Denn die sexuellen Machenschaften von Ana und Christian sind von einem Hardcore-SM-Milieu so weit entfernt wie ein Gummibärchen von einem devoten Sklaven in Gummimontur. Aber vielleicht macht gerade das den Reiz des Buches für viele Leserinnen aus. Dass diese Geschichte nicht weh tut und eine Schmuddelgrenze nicht überschreitet, dass man nur den Hauch der andersartigen Welt spürt, sie aber nicht betreten und die Tür hinter sich zuschlagen muss. Aber möglicherweise weht ja doch ein anderes Lüftchen in den Schlafzimmern seit "Shades of Grey"? Wer weiß das schon?

Fakt ist, Figuren und Story bleiben von Anfang bis Ende ein einziges Klischee, sind überzeichnet und unglaubwürdig. Warum tituliert Ana ihren Christian mehrfach als abgefuckten Typen und Stalker, fühlt sich aber keineswegs von ihm belästigt, obwohl er sie rund um die Uhr überwacht, bevormundet, mit Mails bombardiert und sogar dreitausend Meilen fliegt, um sie bei einem Treffen mit ihrer Mutter zu oberservieren? Und ist Ana nun die naive und unerfahrene Jungfrau, die noch nicht einmal masturbierte oder doch der Vamp, der sich schon beim allerersten Blowjob eine glatte Eins verdient und bald unersättlich nach Bondage-Praktiken ist?

Dass diese Bücher so reißenden Absatz finden, ist wohl dem immerwährenden Wunsch des weiblichen Geschlechts nach der großen Liebesgeschichte eines ungleichen Paares wie bei "Pretty Woman" und verruchter sexueller Phantasien wie bei "Basic Instinct" geschuldet. Gemixt funktioniert es scheinbar umso besser. Denn die richtige Mischung macht hier den Erfolg aus. Das Rezept für diesen Millionen-Bestseller scheint E L James in ihrer Midlife-Crisis gefunden zu haben. Da mag man sich darüber wundern, dass für einen Großteil der Leser/-Innen der Anspruch an die Sprache der Autorin wohl zur Nebensache wird. Aber wenn hat das bei Charlotte Roches "Feuchtgebiete" interessiert außer ein Heer von Kritikern? Auch dass James unentwegt mit Klischees spielt, war kein Aus-Kriterium für den Roman, da die Leserschaft wohl gar keinen Anspruch an die Einzigartigkeit dieser Story stellt. Bella und Edward sind ja allgegenwärtig.

Schon auf den ersten Seiten wird offenkundig, dass E L James, Mutter von zwei Kindern und bis zu ihrem Megaerfolg Angestellte eines Londoner TV-Senders, ohne hohe literarische Ansprüche im stillen Kämmerlein ihre Obsessionen niedergeschrieben hat. Da wird geflüstert, gewispert, gemurmelt und befohlen, dass eigentlich niemand mehr den Mund auftun müsste, weil sich die wörtliche Rede erübrigt. Gestöhnte Worte wie: "Du. Bist. Der. Wahnsinn.", fallen da schon gar nicht mehr ins Gewicht. Wenn jedoch Anas winzige innere Göttin (welche wohl ihr sexuelles Begehren darstellen soll) mit ihrem Unterbewusstsein um die Wette hopst oder Räder schlägt, fragt man sich, ob man sich nicht doch im Regal vergriffen und ein Pippi-Langstrumpf-Buch erwischt hat. Der ewige Wechsel der beiden Hauptakteure vom vertrauten "du" zum förmlichen "Sie" á la "Miss Steele und Mr. Grey" lässt man irgendwann auch noch über sich ergehen, die übertriebenen Mailnachrichten der beiden blättert man weg. Und wenn man noch die ständigen Wiederholungen ignoriert, mit denen Ana den Leser in ihrem Gefühls- und Hormonchaos überschüttet, kann man den 600-Seiten-Roman recht zügig weglesen. Zweihundert Seiten hätten es jedoch auch getan, um die Geschichte auszuerzählen. Aber dann hätte der Sexanteil des Werkes gehörig ausgedünnt werden müssen, was wohl weder der Autorin noch der Leserschaft gefallen hätte.

Eins hat E. L. James jenseits jeder Kritik des Feuilletons anhand der Verkaufszahlen bewiesen: Sie trifft den Nerv mehrerer weiblicher Generationen, vielleicht auch einiger neugieriger Männer. Denn der Sex, so schmutzig er hier wohl durch den SM-Faktor wirken soll, ist durch viele sanfte Kuss- und Kuscheleinlagen und die "postkoitale" Pflege der schmerzenden Körperteile mit wohl riechender Lotion auf schicklich getrimmt, so dass es der großen Liebe der beiden Helden keinen Abbruch tut, wenn Christian seiner Ana in der "Kammer der Qualen" richtig schön den Apfelpopo versohlt - auch wenn es am Ende erst einmal so aussieht, dass sie getrennte Wege gehen. Vermutlich werden Ana, die "Sub" und Christian, der "Dom" in Teil 2 und 3 noch einiges an Wundsalbe brauchen.

Shades of Grey - Geheimes Verlangen

E L James, Goldmann

Shades of Grey - Geheimes Verlangen

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