Montedidio

  • Graf
  • Erschienen: Januar 2012
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  • : Graf, 2012, Titel: 'Montedidio', Übersetzt: Annette Kopetzki
Montedidio
Montedidio
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Rita Dell'Agnese
831001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

... und im Buckel wachsen Flügel

Es sind kleine Szenen – Streiflichter fast -, die Erri De Luca zusammenträgt und zu einem Ganzen formt. Einem Mosaik aus winzigen Teilchen gleich entsteht ein Bild, das durchzogen von unzähligen feinen Linien und Bruchkanten und doch voller Poesie und Kraft ist. Erri De Luca spricht die Sprache des einfachen Mannes. Gepaart mit einem scharfsinnigen Auge und einer vom Leben geformten Philosophie wird diese Sprache zu einem überzeugenden Instrument. Seinen Roman "Montedidio" gestaltet Erri De Luca zu einer rauen Liebeserklärung an seine Heimatstadt Neapel und deren Bewohner. Da und dort drängen sich Parallelen zu Carlo Collodi auf, der mit seinem Roman "Pinocchio" einst eine Geschichte geschaffen hat, die Generationen von Kindern erzählt worden ist und noch heute erzählt wird.

Tatsächlich gibt es auch bei "Montedidio" einen Vater Gepetto, der mit seiner liebevollen Güte dem jungen Helden des Buches – hier ist es der dreizehnjährige Ich-Erzähler aus einem einfachen Viertel Neapels – den Weg ins Leben weist: Don Rafaniello, der in seiner alten Heimat Rav Daniel hieß. Der einfache Schuhmacher mit dem großen Buckel ist eines Tages in der Schreinerwerkstatt von Meister Errico gestrandet. Just dort also, wo der Erzähler sein erstes Geld verdient. Niemand weiß, woher Don Rafaniello gekommen ist. Er war eines Tages da und machte die besten Schuhe weit und breit, für die Armen kostenlos. Der alte Mann ist auf dem Weg ins gelobte Land in Neapel gestrandet und träumt nun davon, nach Jerusalem zu fliegen. Denn in seinem Buckel wachsen – so vertraut es der alte Mann dem jungen Erzähler an – Engelsflügel. Noch sind sie nur als knochige Beulen spürbar, doch eines Tages würden sie durch die Haut durchbrechen und ihn, Rav Daniel, nach Jerusalem tragen.

Über all das, was ihm der weise Don Rafaniello anvertraut, denkt der junge Erzähler abends auf dem Dach des Mietshauses nach, in dem er mit seinen Eltern lebt. Der Vater hat ihm einen Bumerang geschenkt, mit dem der Junge nun Nacht für Nacht auf dem Dach übt. Er wiegt das schwere, ungewohnte Holz in den Händen und holt Schwung, ohne den Bumerang letztlich frei zu geben und ihn durch die Luft wirbeln zu lassen. Der junge Erzähler befindet sich auf dem Weg zum Erwachsensein. Seine körperliche Veränderung schreibt er dem täglichen Training mit dem Bumerang zu. Staunend begegnet der Erzähler nicht nur seiner eigenen körperlichen Entwicklung sondern auch der Welt des anderen Geschlechts. Denn die nächtlichen Ausflüge aufs Dach sind nicht unbemerkt geblieben. Die gleichaltrige, aber in ihrer Entwicklung wesentlich weiter fortgeschrittene Maria wird zur ständigen Begleiterin.

Es ist Erri De Lucas eindringlicher Art der Erzählung geschuldet, dass die Poesie des Romans nicht verloren geht, obwohl ein Blick hinter die Fassade des Hauses viele Abgründe offenbart. Spielsucht, Geldnot, sexuelle Übergriffe auf Kinder, das langsame Dahinsiechen der Mutter: Der Autor verschweigt den Lesern die düstere Seite des Lebens so wenig, wie die poetische. Auf knapp 200 Seiten offenbart Erri De Luca ein ganz anderes Bild von Neapel, als es in Reiseliteratur zu finden ist. Er erzählt vom Traum des Vaters, sein Sohn möge es einst besser haben. Deshalb hat er ihn zur Schule geschickt, wo der junge Erzähler Italienisch lernte. Denn – so erfährt der staunende Leser – kaum jemand aus diesem einfachen Viertel beherrscht die offizielle Landessprache. Der in Neapel gesprochene Dialekt ist die Sprache des einfachen Volkes. Der Autor lässt offen, zu welcher Zeit seine Geschichte spielt. Doch das ist letztlich auch nicht wichtig. Was er zu erzählen hat, ist zeitlos.

In Italien gehört Erri De Luca zu den meistgelesenen heimischen Autoren. Seine Bücher handeln von Alltäglichkeiten, wobei es stets kleine Betrachtungen sind, die großes Gewicht erhalten. Nicht alle Werke sind ins Deutsche übersetzt. Und die meisten Übersetzungen sind – wenn überhaupt – nur mehr antiquarisch zu haben. Denn, wer den Reiz von Erri De Lucas Erzählungen erst mal erkannt hat, mag sich kaum mehr von den kleinen, poetischen Perlen trennen. Dass das Verlagshaus Graf nun eine Neuauflage mit überarbeiteter Übersetzung an die Hand genommen hat, ist ein Geschenk an eine neue Generation von Lesern.

Montedidio

Erri de Luca, Graf

Montedidio

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