Fast frei vom Beleidigtsein
"Mit Kempowski werden sie es noch lange zu tun haben", ließ Walter Kempowski seinen Interviewer wissen, im Juni 2007, kurz vor seinem Tod. In unschönen rosa Schachteln bewahrte der Autor, der sich sein Refugium im niedersächsischen Nartum geschaffen hat, seine Werke auf. Die für die Zukunft und die, die das Auskommen seiner Frau Hildegard im Alter sichern sollten. Jetzt hat sein langjähriger Mitarbeiter und Biograph Dirk Hempel ein weiteres Mammut-Werk veröffentlicht, das den doch recht flapsigen Titel trägt: "Wenn das man gut geht!" Aufzeichnungen 1956 bis 1970.
Leben konnte Walter Kempowski nie von seiner Schriftstellerei. Immer hat er auch gearbeitet, als Lehrer, "Schulmeister", wie er sagte. Doch jetzt, posthum, erlebt der gebürtige Rostocker eine Renaissance. Seine Bücher gewinnen an Wert, werden gelesen, weil sie als das erkannt werden, was sie sind: Besondere Notate ihrer Zeit. Zeitzeugenberichte. Und das derart präzise, das es leicht fällt, sich in die Zeit des Walter Kempowskis hinein zu versetzten. Zu Beginn zumindest. Zum Ende des mehr als 600 Seiten umfassenden Buches, nehmen Kempowskis Eintragungen Telegramm-Stil an. Die Aussagen werden knapper, wirken wie hingeschmiert und bringen dennoch alles auf den Punkt: "Nartum, So 16. November 1969. Ein widerlicher Tag. Kinder quärig. Kalt, ungemütlich."
Der Dorfschulleher und Autor Kempowski wusste stets um die Wirkung der Worte. Seiner Worte. Nie entwich ein Satz seinem Munde, der unbedacht war, unschön, nicht brauchbar. Auch in seinen Büchern setzte er Akzente. Wie besonders seine Tagebuchaufzeichnungen beweisen. Sie treffen, wie Schläge. Zielgenau: "Ich bin frei", telegrafiert Walter Kempowski Margarethe Kempowski am 7. März 1956, nachdem er wegen des Verdachts der Spionage und Landesverrates acht Jahre im Zuchthaus verbracht hat. Einen Tag später, am 8. März, notiert er, "Dieser eine, ich, wurde gestern um halb sechs der Freiheit gegeben." An Hans Siegfried war dieser Brief gerichtet. Herr Siegfried allerdings hat ihn nie bekommen. "Nicht abgeschickt", ist dem Schriftstück zu entnehmen.
Walter Kempowski war ein Pedant. Ordentlich in meterhohen Regalen in seinem Nartumer Wohnmuseum, sammelte er die Schriftstücke, Aufzeichnungen, Tagebücher fremder Menschen. "Diese Leben kann man doch nicht einfach dem Müll anvertrauen", sagte er und behandelte die Dokumente wie Diamanten. Auch seine eigenen, wie "Wenn das man gut geht!" beweist.
Dirk Hempel war beauftragt, nach Ableben des Autors sein Leben in Buchform zu präsentieren. Was durchaus gelungen ist, da Hempel die gleiche Methode verwendet hat, wie einst Kempowski selbst. Unzensiert berichtet er. Sicher – chronologisch – aber ohne Rücksicht auf den Inhalt. Wie Walter Kempowski in seinem Echolot-Projekt, in dem er beschreibt, wie ein Nazischerge an Verstopfung leidet, um gleich danach über die Angst einer jungen Jüdin zu berichten, die fürchtet, ihren Studienplatz zu verlieren. "Ungeschönt" nannte Kempowski seine Zusammenfassung. "So wie es war." Und so wie Dirk Hempel die Notizen der Kempowski-Tagebücher zusammenfast, war auch das Leben des Walter Kempowski: Mal schön, mal nicht.
So bekommt der Leser Kempowskis Angst zu spüren, weil seine Haare immer dünner werden und er beim Betrachten seines Konterfeis feststellen muss, "daß ich einen halbmondförmigen Gurkenkopf habe, eine Kopfform, die ich sonst lächerlich und grotesk fand." An Schönheit mangelte es ihm, glaubte der Autor, und war sich sicher, dass keine Frau ihn jemals lieben wird. Viele Seiten später feiert Kempowski Verlobung mit Hildegard Janssen. Hochzeit, erst Sohn und dann Tochter werden geboren.
Hempel mischt, wie Kemowski, scheinbar irrelevante Gegebenheiten mit wichtigen, lebensändernden Geschehnissen. Besonders sticht dabei sein Briefkontakt mit dem ehemaligen Rowohlt-Verlagsleiter und Lektor Fritz J. Raddatz hervor, dem Kempowski, trotz einiger Niederschläge, viel zu verdanken hat. Über Seiten hinweg wird dokumentiert, was es an den eingereichten Skripten von Kempowski zu ändern gilt. Auch positive Elemente werden hervor gehoben, wie etwa Kempowskis Inspiration durch Franz Kafka in seinem Roman "Margot".
Dabei hat Hempel sich nicht nur auf das Einfügen der Raddatz-Kritiken verlassen, sondern noch weitere Meinungen zum Bautzen-Bericht "Im Block" etwa von Hans Magnus Enzensberger, Joachim Kaiser und Peter Rühmkorf als Expertisen einholte. So entsteht im letzten Teil des umfassenden Werkes eine spannende Diskussion zur Literaturgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland.
Besonders schön ist, dass Walter Kempowski, der in sich gekehrte, oft grummelnde Dorfschulleher doch auch eine ganz andere Seite aufzuweisen hat: Eine liebevolle und sehr menschliche. Dann etwa, wenn seine Frau Hildegard Thema wird, die beiden Kinder Karl Friedrich und Renate Erwähnung finden, oder die stetig wiederkehrende Sorge, dass das Geld nicht reicht. Kempowski war stets daran gelegen, dass es allen gut ging, auch ihm selbst, wenngleich seine schweren Jahre im Bautzener Knast, dem "Gelben Elend", einen langen Schatten auf das Leben des Walter Kempowski warfen. Am 8. Juli 1958 notiert er in seinem Göttinger Studentenzimmer: "Heute bin ich fast frei vom Beleidigtsein." Diese Aussage zu glauben, fällt schwer, da Kempowski zeitlebens darunter gelitten zu haben scheint, dass der Olymp des Literaturbetriebes ihm die letzte Stufe ganz nach oben verwehrte. Dieser Schritt ist jetzt getan, wenngleich Kempowski "nur" der Sammler war und Dirk Hempel ein Buch aus schier unendlich vielen Aufzeichnungen zusammen getragen hat.
Sehr lesenswert.
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