Die Liebe in groben Zügen
- Frankfurter Verlagsanstalt
- Erschienen: Januar 2000
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Schöne Sprache aber zähflüssige Geschichte
Die Liebe in ihren verschiedenen Facetten: Genügend Stoff für 670 Seiten, müsste man meinen. Denn so üppig ist Bodo Kirchhoffs Roman "Die Liebe in groben Zügen" ausgefallen. Doch ganz so stimmt es hier nicht: Die Hälfte des Umfangs hätte durchaus genügt, um die Geschichte zu erzählen – selbst wenn der sprachlichen Entfaltung großzügig Platz eingeräumt wird. Große Abstriche hätten dabei nicht gemacht werden müssen. Kirchhoff stellt das Ehepaar Vila und Renz in den Mittelpunkt seines Romans. Die beiden sind an sich über das Alter hinweg, in dem eine Midlife Crisis auftritt und die Betroffenen in ein Gefühlswirrwar stürzt. Es mag der Sorge um die schwangere Tochter geschuldet sein, dass die beiden zeitnah die Grenzen ihrer Ehe sprengen und auf die Avancen Jüngerer reagieren. Soviel also zum Inhalt.
Nun aber den Roman in die Ecke "zu langatmig" zu schieben, wäre zu einfach. Tatsächlich bewegt sich die Geschichte zwar stetig in einem torkelnden Tanz um sich selber – doch liegt genau in dieser Bewegung eine eigentümliche Faszination. Oft scheint es, als sei der Roman dem sanften Schweben eines Schmetterlings über einer Blumenwiese nachempfunden. Scheinbar unkontrolliert und von jedem Windhauch aus der Bahn gebracht, schwebt die Geschichte von Vila und Renz dahin. Immer wieder eingestreut kleine Erzählstücke, die in ihrer Unauffälligkeit fast überlesen werden und doch eine große Wirkung entfalten, sobald sie den Weg ins Unterbewusstsein gefunden haben. So muss Bodo Kirchhoffs Roman auch verstanden werden: Als eine Erzählung, die sich in unzentrischen Kreisen um die Liebe dreht und immer wieder neue Impulse aufnimmt, die Geschichte im Wesentlichen aber nur in winzigen Schritten voran schreiten lässt.
Bodo Kirchhoffs Stärke ist seine Sprache. Damit überzeugt er, bezaubert er und fesselt er. Es ist wie ein zartes Sahnebonbon, das auf der Zunge zergeht und dabei alle möglichen Geschmacksrichtungen entfaltet, die als Symphonie den Sinnen schmeicheln. Viele Sätze wollen ein erstes Mal, ein zweites – ja manchmal auch ein drittes – Mal gelesen werden, um sich dann als Liebkosung der Seele auszubreiten und einen speziellen Zauber um den Roman zu legen. Es ist sichtbar – gar fühlbar -, dass Bodo Kirchhoff um die Sätze gerungen hat. Aber es ist eine Form des Ringens, die mit einer unerwarteten Leichtigkeit einher geht und niemals den Eindruck von Verbissenheit entstehen lässt.
Eine weitere Stärke ist Bodo Kirchhoffs Fähigkeit, Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Mit seiner melodiösen Schilderung versteht er es, einen farbenfrohen und mehrschichtigen Eindruck der jeweiligen Umgebung, in der sich die Protagonisten gerade bewegen, entstehen zu lassen. Diese gelungene Bildsprache lässt da und dort gar vergessen, dass die Szenen in ihrer Ausdehnung nahe an den Rand der Schmerzgrenze gelangen.
Ist die letzte Zeile gelesen, das Buch zugeklappt, bleibt ein ambivalentes Gefühl zurück. Einerseits fühlt man sich noch immer gefangen in dieser eigenwilligen aber wunderschönen Umsetzung der Sprache, andererseits fühlt man sich letztlich um eine ebenso starke Geschichte betrogen. Denn letztlich bleibt bei der ganzen Konzeption die Story auf der Strecke. Die Protagonisten Vila und Renz sind ausgereizt und bieten kaum noch genügend Konturen, um sie als Persönlichkeiten wirklich wahrnehmen zu können. Marlies und Bühl haben sich als handelnde Figuren bereits aufgelöst, ohne viele Spuren zu hinterlassen. Das alte Liebespaar muss sich wieder auf sich selbst und auf seine Identität als Paar konzentrieren und schließt damit den Leser aus. Zurück bleiben eine Leere und die Frage, ob dies tatsächlich die ganze Geschichte gewesen sein mag. Eine Geschichte, die man während 670 Seiten erarbeiten musste und die selbst nie ernsthaft in der Lage war, Tempo zu entwickeln oder Überraschungsmomente zu präsentieren.
Bodo Kirchhoff, Frankfurter Verlagsanstalt
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