Sepia

  • Aufbau
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Berlin: Aufbau, 2012, Titel: 'Sepia', Seiten: 391, Originalsprache
Sepia
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Romy Fölck
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Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Zeit ist Leben

"Mit 17 hat man noch Träume", sang Peggy March in den 60ern. Diese Zeile passt auch wunderbar auf Eli, die 17-jährige Heldin von Helga Schütz´ Roman "Sepia", wenngleich ihr Blick auf die 60er Jahre in Ostdeutschland weniger sentimental ist als dieser Schlager.

Geflohen aus Schlesien, erlebt Raffaela Reich, Eli, die Bombennacht im Februar 1945 in Dresden und wird nach dem Verlust ihrer Eltern von ihrem Großvater Anton in der Elbestadt zärtlich aufgepäppelt. Wer bereits Schütz´ Vorgänger "Knietief im Paradies" gelesen hat, kennt Eli natürlich schon und weiß, dass sie das Alter Ego von Helga Schütz ist, die 1937 in Schlesien geboren wurde und viele Jahre in Dresden lebte, bevor sie in Potsdam Kinematografie studierte. So ist es nicht verwunderlich, dass Elis Weg im Alter von 17 Jahren, nach ihrer Ausbildung zur Gärtnerin, nach Potsdam führt, wo sie ein Filmstudium aufnehmen möchte. Sie wird als einzige Frau immatrikuliert und nimmt in der Studiengruppe die Stellung des Arbeiterkindes ein, ohne sich davon beirren zu lassen. Mit ihrem wunderbaren Dickkopf präsentiert sie selbstbewusst die Arbeiterklasse inmitten all der Künstler. In Potsdam angekommen, zieht Eli ins Stalinhaus, wo sie erste Freundschaften schließt und sich in Ludwig, einen Kommilitonen, verliebt.

Eli weiß, was sie will und vergisst nicht, wer sie ist und woher sie stammt. So jobbt sie nebenbei im Garten von Sanssouci und hält so an ihren Wurzeln fest. Genau das macht uns diese Protagonistin sofort sympathisch. Manchmal etwas naiv, aber vor allem willensstark und ungemein lebendig bestreitet sie das Studium in Potsdam. Eli lebt sich schnell ein und schläft nicht selten in ihrem gemütlichen Kinosessel bei einer der unzähligen Filmvorführungen ein. Aufgrund ihrer Erlebnisse, Gedanken und Briefe bekommt man einen ungefilterten Einblick in den DDR-Alltag von Studenten Anfang der 60er, ohne dass dieses System von der Autorin verurteilt oder abgestempelt wird. Der Leser gewinnt einen realistischen Eindruck von dieser frühen sozialistischen Zeit - bewerten muss er sie allein.

Helga Schütz erzählt von den üblichen studentischen Arbeitseinsätzen auf dem Kartoffelfeld oder im Chemiewerk Bitterfeld, wo Eli sich eine Bleivergiftung einfängt, die ihr gesundheitlich noch lange zu schaffen macht. Auch Beschaffung und Tausch von verbotener Literatur, das Schicken von Westpaketen mit versteckten Büchern in Schokoladenpackungen, die kleinen Tricksereien an der Hochschule, um Filme aus Westdeutschland vorführen zu können, oder der großväterliche Dekan, der jedes Wochenende vom eigenen Chauffeur nach Freiberg gefahren wird, sind eher Wegmarken des Romans, denn offene Anklage an das sozialistische System. Helga Schütz erzählt kurz und prägnant, nicht selten stichworthaft, von einer Zeit, in der die Bevölkerung den Mangel oft als unvermeidbar ansah und in dem die Menschen das Beste aus dem machten, was sie hatten.

"Zeit ist Geld, das stimmt nicht. Zeit ist Leben."

Es ist ein spürbarer Einschnitt im Roman, als neben dem Stalinhaus plötzlich die Grenze nach Westberlin gesichert wird. Stacheldraht und patrouillierende Grenzstreifen am Ufer des Sees sind nun das tägliche Bild vor Elis Nase. Nicht nur dass Ludwig im Westen ist, auch ihre Freundin Erika ist von einer Romreise nicht zurückgekehrt und erzählt in ihren Briefen von einer völlig anderen Welt. Die Nerven behalten und "… einfach Mensch bleiben", rät Eli dem Uni-Pförtner, der an den übermäßigen Sicherungsmaßnahmen im grenznahen Gebiet zu verzweifeln scheint. Ihre mutige Reise nach Polen, bei der sie illegal die Neiße passiert, um die Asche ihres West-Großvaters Heinrich in seine Heimat Schlesien zu bringen, ist einer der Höhepunkte dieses Romans, denn hier offenbart sich erst recht die Kämpfernatur der jungen Heldin.

Die Liebe zu Ludwig ist so tragisch wie schön. Zwei so gegensätzliche Menschen lieben sich über eine Grenze hinweg. Denn als Ludwig rüber macht, verzehrt sich Eli nach ihrem Liebsten, ohne ihn für diesen Weggang aus ihrem Leben zu verurteilen. Manchmal hört sie ihn heimlich im Westradio in Literatursendungen, wo er ihr sogar geheime Botschaften übermittelt. Man kann anhand dieser Geschichte nur erahnen, wie schwer es damals gewesen sein muss, durch eine Mauer getrennt zu sein. So nah und doch so fern!

Helga Schütz gelingt es mit leichter Hand, ein Stück deutscher Geschichte lebendig werden zu lassen, die nicht immer leichte Kost ist – dafür glaubhaft und amüsant geschildert. Bildreich, atmosphärisch und mit einer Menge an kleinen Geschichten aus dem DDR-Alltag legt sie einen großartigen Roman vor, der darüber hinaus mit kleinen poetischen Akzenten aufwartet. Insgeheim hofft man am Ende, dass viel Helga Schütz in der Romanfigur Eli steckt und dass es sie somit wirklich gegeben hat. Siegel: Unbedingt lesen!

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