Die französische Kunst des Krieges

  • : Luchterhand, 2012, Titel: 'Die französische Kunst des Krieges', Seiten: 768, Übersetzt: Uli Wittmann
Die französische Kunst des Krieges
Die französische Kunst des Krieges
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Wolfgang Franßen
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Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Unterweisungen

Schriftsteller nähern sich ihren Themen aus ganz unterschiedlichen Gründen. Sei es, dass sie unterhalten wollen, sich der Aufklärung verschreiben oder sich gar reinzuwaschen versuchen. Nicht selten tun sie das unter dem Banner der Moral, unter lautem Mahnen. In diesem Herbst sind zwei dicke Kriegsromane erschienen. Karl Marlantes "Matterhorn" und der mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete "Die Kunst des französischen Krieges" von Alexis Jenni. Bemüht sich Marlantes in seinem Vietnam-Roman um die eigene Vergangenheit, indem er dem kriegerischen Wahnsinn absurde Züge verleiht, kommt es dem 49jährigen Biologielehrer Alexis Jenni auf die Verurteilung mit Zurhilfenahme der Literatur an.

Deutsche Leser, Schriftsteller, Kritiker tun sich schwer mit Kriegsromanen, wenn sie sich nicht um die Opfer drehen. Ernst Jünger rutscht da schnell an den rechten Rand. Romane wie "Die Wohlgesitteten" von Jonathan Littell werden als Provokation empfunden.

Nun also Victorien Salagnon, seines Zeichens Berufssoldat, der an drei Kriegen teilgenommen hat. Im Zweiten Weltkrieg half er, die Nazis zu besiegen, in Indochina versuchte er, die Kommunisten aufzuhalten und in Algerien den französischen Untergang zu verhindern. Auf dem Papier mag sich das so lesen, als habe da ein Franzose aus politischer Überzeugung für sein Land gekämpft, um es vor Schlimmerem zu bewahren.

Auch der Ich-Erzähler hat sich wie der Soldat aus dem bürgerliche Raster genommen und lässt sich durch Lyon treiben, bis er eines Tages in einem Bistrot zufällig auf jenen Victorien Salagnon trifft. Einen seltsamen Wesensverwandten. Der frühe Salagnon mogelte sich in seiner Jugend schließlich genauso durchs Leben wie der in einem Frankreich ohne Ideale zurückgeworfene Ich-Erzähler. Anders Salagnon. Als Résistancekämpfer, als letzte Bastion gegen die Vietminh in Indochina, als kolonialistischer Retter Frankreichs wäre aus ihm fast ein Held geworden.

Doch Salagnon ist nicht nur die Bestie, die foltert, die tötet, die abstumpft, etwas in ihm setzt sich gegen das Wüten im Namen der Gerechtigkeit zur Wehr. Er wird gleich zu Anfang seiner Karriere als Söldner in Diensten Frankreichs zum Tuschezeichner. Womit Alexis Jenni dem Roman eine feingeistige zweite Ebene unterzieht. In Schwarz-Weiß wird Salagnon zum Chronisten, halten seine Zeichnungen nicht nur die Gesichter und Landschaften fest. Sie werden von den Gräueln der Kriegsverbrechen durchfurcht. Zeichnet er, kehrt sich der Blick mit einmal nach innen, entdecken Kriegskameraden in den Bildern sich selbst anhand von Verzweiflung, Ohnmacht und einem nahe Tod. Gewalt und Angst prägen jeden Krieg.

Sehen sich Marlantes Soldaten noch einer abstrusen Befehlskette unterworfen, an der sie zerbrechen und die sie in die Heimat zurücktragen werden, ist es bei Jenni vor allem das Gefühl, Frankreich verteidigen zu müssen. Ein Land, das nach all den Kriegen – vom Zweiten Weltkrieg bis hin zu Algerien - sich in einer Art Dauerkriegszustand befindet. Nun, im Zeitalter des Ich-Erzählers, trägt es den Krieg ins Innere und lässt die Front National bei Wahlen erdrutschhafte Siege feiern, sobald sich die wirtschaftlichen Zahlen verschlechtern.

Leider unterwirft sich Jenni als Schriftsteller allzu sehr dem Gutmenschenblick. Der fulminante Roman, der den Krieg auf den verschiedenen Kontinenten einer einzigen Klammer unterwirft, leidet an moralischer Dauerpräsenz. Jenni prangert immer wieder die Vorstellung an, dass Kriege eine Berechtigung haben, wenn sich Konflikte am Verhandlungstisch nicht lösen lassen. Wie soll das möglich sein, wenn ein Haufen wahnsinniger Deutscher ein Drittes Reich errichten will, wenn man es nicht zulassen will, dass sich die kommunistische Ideologie über die ganze Welt verbreitet, wenn ein Land wie Algerien der Meinung ist, es gehöre den Algeriern und nicht den Franzosen? Die Befehlskette ist dann kurz. Sie entspringt zumeist einer aufgebrachten Öffentlichkeit, die aufgehetzt von Interessen anderer zum Krieg aufruft.

Auch wenn man den Juroren des Prix Goncourt und dem Verlag Gallimard nicht gerne widersprechen will, hätte es dem Roman sicher gutgetan, nicht permanent in abgewandelter Form Jean Jaures "J’accuse" zu wiederholen. "Die Straße in Flandern" von Claude Simon ist ein Beispiel dafür, was Literatur vermag. Auch Alexis Jenni geht es nicht allein um Geschichtsschreibung. Im Gegensatz zu Karl Marlantes treibt ihn nicht ein persönliches Schicksal um, vielmehr ist sein didaktischer Anspruch allgegenwärtig.

Jenni hat einen Roman für Pazifisten geschrieben, die sich gerne gegenseitig auf die Schultern klopfen. Aber er hat auch die Geschichte zwei Männer nachgezeichnet, die nichts mit sich in der Welt anzufangen wissen. Das macht den Roman lesenswert. Vor allem, wenn manche glauben, dass wenn schon keinen Krieg da draußen in der Welt zu führen ist, er dann halt in den Vorstädten stattzufinden hat. So wie Salagnons neuer Freund Mariani zum Kampf gegen die Überfremdung Frankreichs in den Banlieus aufruft, in jenen Vierteln, die brennen.

Der Ich-Erzähler wird allerdings gegen Ende des Romans immer noch dort liegen, wo er am Anfang Frankreichs Eintritt in den Golfkrieg beobachtet hat: im Bett, in den Armen einer Frau.

Er sollte da liegen bleiben.

Die französische Kunst des Krieges

Alexis Jenni, Luchterhand

Die französische Kunst des Krieges

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