Die Frau, die vom Himmel fiel

  • DVA
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
  • : DVA, 2012, Titel: 'Die Frau, die vom Himmel fiel', Seiten: 384, Übersetzt: Klaus Timmermann, Ulrike Wasel
Die Frau, die vom Himmel fiel
Die Frau, die vom Himmel fiel
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Rita Dell'Agnese
751001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Eine Art von Kriegsroman

Es sollte wohl eine Hommage werden an die tapferen Engländerinnen, die sich im zweiten Weltkrieg einer harten Ausbildung unterzogen, um danach als Spioninnen hinter den feindlichen Grenzen eingesetzt zu werden. Das ist dem Autor Simon Mawer auch gelungen. Aus seiner Erzählung spricht die persönliche Vertrautheit eines Mannes, der schon in seiner Jugend mit der Thematik konfrontiert wurde und durch seine familiäre Situation eine besondere Verbundenheit mit militärischen Belangen hat. Entsprechend stark akzentuiert Mawer. Die Ausbildung der jungen Marian Sutro, die später als Spionin Alice in Frankreich eingesetzt wird, nimmt viel Raum ein. Für manche dürfte es zu viel sein – denn während des ersten Drittels des Romans passiert nur wenig, das als Spannungsmoment taugen würde. Mawer legt sein Augenmerk auf die Entwicklung Marians. Gerade hier ist jedoch eine der Schwächen des Romans auszumachen. Die Heldin ist zunächst ein höchst naives, junges Mädchen, deren Wahl zur Spionin selbst aufgrund der gelieferten Erklärung nicht so richtig überzeugen will. Marian bleibt eine naive junge Frau, die sich selbst noch nicht ganz gefunden hat. Ihr Einsatz für den englischen Geheimdienst erscheint deshalb in einem etwas trüben Licht.

Abgesehen von der Protagonistin, mit der man nicht so einfach warm werden mag, bringt Simon Mawer seinen Lesern die damalige Zeit sehr nahe. Er schafft es, durch seine direkte und schnörkellose Erzählart eine mitreißende Atmosphäre aufzubauen. Die Kargheit der Kriegsjahre wird spürbar, Gefühle wie Angst und Schicksalsergebenheit, aber auch ein unbändiger Lebenshunger, kommen ausgezeichnet zur Geltung. Es mag auch mit dem Buch-Cover zusammenhängen, das in seiner schlichten Eindringlichkeit eine Marke setzt: Mawers Roman lässt eine Art Schwarz-Weiß-Film vor dem inneren Auge abspulen. Der Leser bekommt den Eindruck, ins Geschehen eingebunden zu sein und Teil jener Menschen zu werden, die bereit sind, persönliche Grenzen zu überschreiten, um ihrer Nation mitten im Kriegsdilemma beizustehen.

Es ist eine andere Art von Kriegsroman, die Simon Mawer seinem Publikum präsentiert. Seine Helden spüren Angst und Verzweiflung ebenso wie der Rest der Bevölkerung. Sie stellen sich mit Fatalismus dem Krieg und versuchen, ihr Bestes zu geben. Genau dadurch wird die Geschichte eindringlich und überzeugend. Man mag sich da und dort die Frage stellen, wie man selber in dieser Situation reagiert hätte, ob man bereit gewesen wäre, das eigene Leben zu riskieren, um eine Mission hinter den feindlichen Linien zu erfüllen. Der Einsatz Marians birgt Faszination und Erschrecken gleichermaßen. Erschrecken darüber, wie nahe die Protagonistin – die hier als Stellvertreterin für ihre Schicksalsgenossinnen verstanden werden darf – die ganze Zeit über am Abgrund stand.

Simon Mawers Roman hat nebst einer unreifen Protagonistin noch eine weitere Schwäche, die mancher als Schönheitsfehler, ein anderer als ärgerlich empfinden dürften: Die erotischen Szenen sind so schwach umgesetzt, dass sie mit dem an sich hohen Niveau der übrigen Szenen bei weitem nicht mithalten können. Hier wird deutlich, dass sich der Autor - statt sich in seine Protagonistin hineinzufühlen - Wunschdenken hingibt. Dadurch wirken die Szenen unecht, hölzern und alles andere als erotisch. Im Gegenteil. Immer wieder scheint es fast, als würden die handelnden Personen lediglich ein Pflichtprogramm absolvieren. Da diese Szenen in ihrer ganzen Ausführung für den Verlauf des Romans lediglich eine untergeordnete Rolle spielen, hätten sie problemlos weggelassen werden können. Sie stören das empathische Bild einer starken Erzählung.

"Die Frau, die vom Himmel fiel" ist ein Roman, der den Krieg intensiver darstellt, als es ein Durchschnittsroman über den zweiten Weltkrieg vermag. Die Konzentration auf eine ganz spezielle Art von Einsatz und damit die Reduktion auf einen klar strukturierten Handlungsstrang bringt die Leser dem Geschehen sehr nah. Schon alleine dadurch ist ein starkes Leseerlebnis garantiert.

Die Frau, die vom Himmel fiel

Simon Mawer, DVA

Die Frau, die vom Himmel fiel

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