Die Lust am Verlust
Felix Quinn, Inhaber einer antiquarischen Buchhandlung im Londoner Stadtteil Marylebone, könnte seinem Vornamen entsprechend ein glückliches, bequemes Leben führen. Die Geschäfte laufen gut, und seine geliebte Frau Marisa ist klug und schön. Wäre da nicht Felix´ immer stärker werdende erotische Obsession, denn sein größter Wunsch ist, dass Marisa ihn mit einem anderen Mann betrügt.
Howard Jacobson, inzwischen 70 Jahre alt und 2010 mit dem Booker Prize ausgezeichnet, hat eine Liebesgeschichte der etwas anderen Art geschrieben. Trotz seines Oeuvres von fast zwanzig Büchern ist "Liebesdienst" erst sein zweites Buch, das in Deutschland erscheint. Jacobson, der nicht nur wegen seines Hangs zum Einsatz eines Doppelgängers in seinen Büchern häufig mit Philip Roth verglichen wird, bezeichnete sich in einem Interview als echten Melancholiker:
"Ich mag es, über traurige Dinge und den Verlust zu schreiben. Er ist es doch, der unser Leben bestimmt, ja er ist letztlich das Leben selbst."
Felix´ erste Freundin betrügt ihn bereits beim zweiten Date, woraufhin er lernen muss, mit diesem Verlust und der aus diesem Betrug resultierenden Eifersucht umzugehen. Jahre später, als ein Arzt bei einer Untersuchung seine Hand etwas zu lange auf Marisas Brust verweilen lässt, ist es endgültig um Felix geschehen. Es erregt ihn, sich vorzustellen, wie ein anderer Mann mit ihr schläft. Nicht aus Voyeurismus oder Perversion, sondern aus Liebe zu ihr. Und so begibt sich Misantroph Felix auf ein gefährliches amouröses Abenteuer: er sucht einen Geliebten für seine Ehefrau, um sich fortan der Lust am kontrollierten Leiden hingeben zu können.
Der Geliebte für Marisa ist schnell gefunden, Marius, ein etwas heruntergekommener Intellektueller. Das Vorhaben gelingt, die beiden verlieben sich ineinander. Eine tragikomische Ménage-à-trois nimmt ihren Lauf, bei der die beiden Frischverliebten zunächst nicht ahnen, dass sie verkuppelt wurden und bei ihren Schäferstündchen beobachtet werden. Denn Felix versteckt sich im Haus, in dem sich Marisa und Marius während der Woche nachmittags zum Sex treffen. Er empfindet das Mithören als moralische Verpflichtung:
"Schließlich rackerte sie sich für mich ab, wenn man so will."
Howard Jacobson, der sich selbst als "jüdische Jane Austen" bezeichnet und dessen ironischer Schreibstil sich nach eigener Aussage "auf 5.000 Jahre jüdischen Humors gründet", gelingt es auf einzigartige Weise, seinem liebeskranken Ich-Erzähler Felix Leben einzuhauchen und ihm und uns Lesern einen intellektuellen Koitus zu bescheren. Auf knapp 400 Seiten beleuchtet Jacobson anhand von Literatur und Kunst die Themen Eifersucht und die Lust an ebendiesem Leiden aus verschiedenen Blickwinkeln. Er wird in der griechischen Mythologie ebenso fündig wie bei Shakespeare, Tolstoi oder James Joyce; auch Gemälde von Thomas Lawrence oder die berühmte "Schaukel" von Fragonard werden als Beweise herangezogen für die omnipräsente Eifersucht, seit es Menschen gibt. Heißt es denn nicht schon im Alten Testament: Mit einem Mädchen wirst Du Dich verloben, aber ein anderer wird es sich nehmen?
Etwas weniger Kopfkino und etwas mehr echte Handlung hätten dem Roman gut getan, oftmals phantasiert Felix Dinge, von denen der Leser nicht weiß, ob sie tatsächlich stattgefunden haben. Dennoch, "Liebesdienst" ist ein wunderbar erzählter Roman über die Liebe und ihre ungewöhnlichen Wege und Ausprägungen. Jacobsons britischer Humor, seine feine Ironie und die passenden Verweise auf Gemälde und Literatur sorgen in ihrer Gesamtheit dafür, dass die Geschichte niemals ins Banale oder Perverse abgleitet, sondern stets ihr hohes Niveau hält. Denn wie sagt Felix so überaus zutreffend:
"Die Rolle des Gehörnten verlangt Esprit."
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