Verlangen nach Freundschaft
- Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: Januar 2012
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- Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2012, Titel: 'Verlangen nach Freundschaft', Seiten: 206, Originalsprache
Ein Plädoyer für die Freundschaft
Arnold Thünker macht es seinen Lesern leicht. Er nimmt sie mit nach New York, stellt sie als Zuschauer mitten in eine skurrile Szenerie und überlässt sie für einige Zeit ihren ganz persönlichen Eindrücken. Damit ermöglicht es Thünker seinen Lesern, sich auf die Situation einzulassen. Eine Situation, die weit außerhalb jedes Alltäglichen liegt. Da stehen sich zwei Protagonisten gegenüber, die jeder für sich ein näheres Hinsehen verdienen. Schillernd ist auf jeden Fall die Figur des Faunus. Der homosexuelle Faunus vereinigt alles auf sich, was ihn zu einem – geliebten – Außenseiter macht: Als Sohn einer reichen Kolonialistenfamilie bringt er eine Spur Snobismus mit, hat sich aber gerade dadurch eine unglaubliche Offenheit gegenüber dem Anderssein bewahrt. Faunus nimmt den in Manhattan gestrandeten Jakob auf, beherbergt ihn in seinem äußerst speziellen Appartement und macht ihm – trotz anderer Abmachung – Avancen. Jakob aber will von Faunus nichts anderes als Freundschaft. Und die bekommt er auch, in passender Dosierung.
Thünkers Roman hält keine großartigen Höhepunkte bereit – ja, er legt nicht mal ein großartiges Tempo vor. Er plätschert in einem angenehmen – und wenn man sich darauf einlässt, hypnotisierenden – Erzählton vor sich hin. Die Geschichte ist allerdings charismatisch genug, um Bilder entstehen zu lassen, eine Art Film, der sich im Kopf abspult. Die sich langsam entwickelnde Freundschaft zwischen Faunus und Jakob ist nur ein Teil der Geschichte. Wie es der Titel schon andeutet, geht es generell um Freundschaft. Die Figuren, die in der Geschichte auftauchen, haben diesen Hunger nach Verbundenheit mit anderen Menschen gemein. Gemein ist ihnen auch ihre ungewöhnliche Art zu leben. Hier nutzt Thünker den Schmelztiegel Manhattan, der es ihm möglich macht, alle Varianten von Menschen im Roman auftauchen zu lassen, ohne dass sich die Leser darüber wundern würden.
Man mag sich fragen, wie es Thünker mit einem an sich recht ereignislosen Roman, der weder außerordentlich spannend noch brutal oder voller menschlicher Abgründe ist, schafft, diese Faszination auszulösen. Er spricht mit dem Thema ein grundsätzliches menschliches Bedürfnis an: Sich einerseits von der Masse abzuheben und eine eigene Identität zu bewahren, andererseits aber eins zu werden mit der Masse und dazu zu gehören. Freunde zu haben, geliebt zu werden: Das ist es, was die Leser und die Figuren in Thünkers Roman gemeinsam anstreben. So verzeiht man dem Autor und seinen Protagonisten die Ereignislosigkeit, das Dahin-Plätschern der Geschichte. Man erlaubt Thünker gar, hin und wieder etwas zu weit abzuschweifen und fast den Anschluss ans aktuelle Geschehen zu verpassen. Und man sieht Thünker seine gnadenlose Offenheit nach, wenn es um den langsamen aber unaufhaltsamen Zerfall des kranken Freundes geht. Bis der Leser merkt, dass ihn Arnold Thünker zwingt, hinzusehen und in gewisser Weise Verantwortung zu übernehmen, ist es zu spät, um sich zu entziehen. Die Gefühle sind längst geweckt, das Leiden des Freundes berührt und entsetzt zugleich.
Ist die letzte Seite gelesen, das Buch zugeklappt, bleiben die Bilder noch im Kopf, hallen langsam nach. Die Bilder eines Apartments in Manhattan, in dem das gelebt wird, wonach es den Menschen verlangt: Freundschaft. Damit hat der Autor geschafft, was einen guten Autor auszeichnet: er hat den Leser bewegt. Dass er sich dabei auf einem äußerst schmalen Grat bewegt, birgt eine nicht zu unterschätzende Gefahr in sich: Nicht alle Leser mögen sich im Kreise der schrillen Figuren bewegen, ohne dass sich die Handlung auf die eine oder andere Weise zuspitzt. So spielt Arnold Thünker immer leicht am Rande des Abgrundes der Langeweile. Je nach Affinität zu außergewöhnlichen Menschen wie Faunus ist die Gefahr kleiner oder eben grösser, in diesen Abgrund hinein zu rutschen.
Mit "Verlangen nach Freundschaft" hat Arnold Thünker ein eindrucksvolles Portrait der Gesellschaft präsentiert, die zwar am Rande lebt, aber nicht vollkommen ausgegrenzt ist. Er legt ein Plädoyer für die Freundschaft vor und lädt dazu ein, sich mit den tatsächlichen Werten des Lebens auseinander zu setzen. Das alles tut er in einer gut lesbaren und durchaus genießbaren Art zu Erzählen und zu Schreiben.
Arnold Thünker, Kiepenheuer & Witsch
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