Vom Bahnen ziehen im Schwimmbad und im Leben
"Bahnen ziehen" ist Leanne Shaptons zweites Buch und darin beschreibt sie unter anderem ihre Kindheit und Jugend als Leistungsschwimmerin in Kanada. Zweimal (1988 und 1992) schwimmt sie bei den Qualifikationsläufen für die Olympischen Spiele mit, kann sich aber nicht qualifizieren und gibt den Leistungssport schließlich auf, doch das Schwimmen begleitet sie weiterhin auf ihrem Lebensweg.
Allein die Kapitel, die sich direkt mit dem Schwimmen beschäftigen, sind lesenswert: Shapton beschreibt sehr genau und informativ die Abläufe während des Trainings, während der Wettbewerbe, die Stimmung in der Schwimmhalle, im Bus zu Trainingslagern und Wettkämpfen, die Rituale.
Als Leser bekommt man auch viele Informationen über die Regeln bei Schwimmwettbewerben, über die Aufstellung der Schwimmer, wer auf welcher Bahn schwimmt und was das zu bedeuten hat, wie die Zeit genommen wird, warum manche Trennlinien zwischen den Bahnen andere Farben haben als andere und noch vieles mehr.
Ebenso ist es faszinierend und teilweise schon fast bestürzend zu lesen, wie viel Selbstdisziplin und Verzicht schon von Kindern verlangt wird, wenn sie irgendwann zur Weltspitze gehören wollen und wie wenige es dorthin dann tatsächlich auch schaffen. Sechs Stunden Training sind normal, was bedeutet, dass bereits vor der Schule geschwommen wird und somit das Aufstehen um fünf Uhr ist.
Doch ist "Bahnen ziehen" mehr als nur ein Buch über das Leistungsschwimmen, es ist auch ein Buch über das Erwachsenwerden, über das Finden des eigenen Weges, die beruflichen Perspektiven und wie das alles doch irgendwie mit dem Schwimmen zusammenhängt. Leanne Shapton zieht in einem Kapitel den Vergleich zwischen den beruflichen Herausforderungen und den sportlichen damals, erklärt, was sie beim Schwimmen gelernt hat und wie ihr das in ihrem Beruf, aber auch in ihrem ganzen Leben, weiterhilft, wie sie sich auch dort durchbeißen kann, wenn es mal schwieriger wird, ganz so, wie sie es früher im Training getan hat.
Sie erzählt auch davon, was das Schwimmen jetzt für sie bedeutet, wie sie es immer wieder zum Wasser hinzieht, wie sich der Umgang langsam ändert und wie sie lernte, was "Baden" bedeutet.
Shapton erzählt ihre Geschichte nicht chronologisch, sondern springt von Vergangenheit zur Gegenwart und zurück und erzählt die unterschiedlichsten Episoden, so dass sich das Buch mosaikartig Steinchen für Steinchen zusammensetzt.
Die Sprache ist nüchtern, aber doch nimmt sie den Leser mit und immer wieder finden sich wunderschöne, fast schon poetische Sätze, die zu bezaubern verstehen.
Gewöhnungsbedürftig ist sicher, dass Leanne Shapton durchgehend im Präsens schreibt, auch die Kapitel, die in der Vergangenheit spielen. Das dürfte auf manche Leser irritierend wirken.
Ergänzt wird die Geschichte durch einige ungewöhnliche Kapitel, in denen Shapton z.B. vierzehn Gerüche beschreibt, in denen Illustrationen von Schwimmern oder verschiedenen architektonischen Formen diverser Pools gezeigt werden oder in denen dem Leser die Kollektion von Shaptons Badeanzügen vorgeführt wird, jedes Bild versehen mit dem Ort des Erwerbs, wann er getragen wurde und ob es ein Trainings- oder ein Freizeitanzug ist.
"Bahnen ziehen" ist ein vielschichtiges, gut zu lesendes und informatives Buch, das hauptsächlich, aber eben nicht nur vom Schwimmen handelt und den Leser in eine ganze eigene, aber auch sehr faszinierende Welt entführt.
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