Theres

  • Stuttgart: Klett-Cotta, 2012, Titel: 'Theres', Seiten: 391, Übersetzt: Gisela Kousbek
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Jochen König
771001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

UIk mit Ulrike

"Theres" war der Spitzname, den Gudrun Ensslin, eher spöttisch als aus Zuneigung, Ulrike Meinhof verlieh. Vermutlich bezogen auf Teresa von Ávila, jene Karmeliterin, die sich weder im Weltlichen noch im Religiösen heimisch fühlte, und angesichts von Höllenvisionen in der absoluten Hingabe an Christus leben wollte. Ganz so verkehrt scheint Ensslins zynische Interpretation nicht zu sein, findet sich die Verlorenheit und Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die Aufopferung beinhaltet, aber nicht mit ihr endet, auch in Steve Sem-Sandbergs Buch.

Das im Original bereits 1996 erschien und seine jetzige Veröffentlichung vermutlich dem Erfolg der "Elenden von Lodz" zu verdanken hat. Zeitnah wäre die weitaus bessere Variante gewesen, denn die Geschichte der RAF hat in den letzten Jahren eine ganze Menge an Erweiterungen, Veränderungen und fiktionalisierter Aufarbeitung erfahren. Horst Mahler, der in der ersten Hälfte eine zentrale Rolle spielt, ist völlig in der rechten Szene aufgegangen, hat seine Anwaltszulassung erneut verloren und tritt als unverbesserlicher Holocaust-Leugner auf. Verena Becker, die nur kurz erwähnt wird, ist letztes Jahr wegen ihrer Beteiligung an der Ermordung Siegfried Bubacks, die allerdings erst nach Ulrike Meinhofs Selbstmord stattfand, verurteilt worden, und Filme wie "Die Stille nach dem Schuss" und "Der Baader-Meinhof-Komplex" (basierend auf Stefan Austs gleichnamigen Buch) entstanden.  Doch machen diese Ergänzungen aus "Theres" noch kein schlechtes Buch. Wie ein leicht fahriger Nachzügler erscheint es dennoch.

Das war aber auch 1996 schon der Fall. Denn Ansätze des literarischen Puzzles, welches Sem-Sandberg entwirft, jene Mixtur aus Fakten, Interpretation und fiktivem Psychogramm, finden sich bereits in Christine Brückners "ungehaltenem Monolog einer ungehaltenen Frau", dem kurzen Text "Kein Denkmal für Gudrun Ensslin", in dem Ensslin in ihrer Zelle in Stammheim, über das Gefängnis, ihr Leben und ihre Träume räsoniert. Steve Sem-Sandberg überlässt das ausführliche Erörtern Ulrike Meinhof, und er gibt ihr wesentlich mehr Raum.

Er zeichnet das Bild einer engagierten Journalistin, einer ewigen Zweiflerin, an ihrem Leben, ihren Beziehungen, ihrer Unbehaustheit. Pendelnd zwischen scharfsichtiger Analyse einer Gesellschaft, die ihre düstere Vergangenheit zu keiner Zeit aufgearbeitet hat und von (institutioneller) Gewalt geprägt ist, und einer schwärmerischen Sehnsucht nach einer Rolle wie sie die Geschwister Scholl, insbesondere natürlich Sophie, während des Dritten Reichs spielten. An der Seite des Kohlhaasschen Rebellen Andreas Baader dem "Schweinesystem" den Kampf ansagen. Um sich am Ende zwischen allen Fronten, ganz allein auf sich gestellt, wiederzufinden.   

Steve Sem-Sandbergs hat mit "Theres" das berührende Porträt einer Frau verfasst, deren Spiegel die gesellschaftliche Realität der Nachkriegszeit war, die sie kritisch und engagiert reflektierte, bevor sie selbst nur noch eine Reflexion war. An der Seite Andreas Baaders wurde Meinhof von den Medien zum Flintenweib stilisiert, zur Rädelsführerin der Baader-Meinhof Gruppe, während sie nach Sem-Sandberg in der Illegalität eher eine Außenseiterin blieb, deren kriminelles Unvermögen Baader und Ensslin mit Spott bedachten. Baader und Ensslin erscheinen sowieso als treibende Kräfte, gegen die sich die einst eloquente und analytische Journalistin und Denkerin Ulrike Meinhof in ausufernden Theorie-Exzessen nicht durchsetzen kann – und es möglicherweise gar nicht will. 

Während Gudrun Ensslin, als pragmatische und ziemlich kaltherzige Kontrahentin Ulrike Meinhofs, charakterlich entfalten kann, bleibt Andreas Baader erschreckend blass. Ein cholerischer Poseur, dessen Faszination eher behauptet, als vom Text belegt wird. Ein Schlaglicht wie so viele andere im Buch. Manchmal pickt Sem-Sandberg einzelne Mitglieder der RAF heraus und stellt sie für einen kurzen Moment ins Zentrum (Hanna Krabbe, Peter Homann), bevor sie sich im Dunkel verabschieden.

Ein eigenwilliger, starker Gegenpol zu Ulrike Meinhof ist lediglich Horst Herold, der Chef des BKA und oberster Terroristenjäger, den Meinhof bis in seine Träume verfolgt und für die er eine Art Zuneigung empfindet, die auf einem intuitiven Verständnis ihrer Geschichte und ihrer inneren Zerrissenheit beruht. Zwar bilden starke Männer (Klaus Rainer Röhl, Rudi Dutschke, Horst Mahler, Andreas Baader, Klaus Croissant) einen Ring um Ulrike, der sie eher knechtet als solidarisch stützt. Dass die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens und ewigen Kampfes gerade vom erbittertsten Gegner wahrgenommen wird, ist eine gelungene Pointe.

Die große Offenheit des Buches ist eine der Stärken des Buches, doch zugleich auch seine größte Schwächen.  "Theres" lässt Raum für zahlreiche Interpretationen, selbst die Position eines gerechtfertigten Widerstandes, bei dem die Methodik allerdings immer diskussionswürdig bleibt, wird nicht ausgeschlossen. Und doch bleibt die Zeitgeschichte, selbst inmitten eines Riesenwusts an Fakten, Protokollen, Zitaten und Annäherungen, Fußnote eines, sehr wohl  facettenreichen, Psychogramms. Manches wird pflichtschuldig abgehakt (der Tod Benno Ohnesorgs, das Attentat auf Rudi Dutschke), anderes kommt nur als Anekdote vor (Meinhofs erster Banküberfall). Terroristische Aktionen werden, wenn überhaupt, nur in Ulrikes Reaktionen und in Gruppendiskussionen abgehandelt. Dadurch wird die flächendeckende Paranoia, die in den Siebzigern in der BRD herrschte, nur ansatzweise deutlich. Von den tiefgreifenden Vernetzungen über die DDR bis in den Nahen Osten ganz abgesehen. Randerscheinungen in einem trotzdem spannenden, selbst in seiner gelegentlichen Oberflächlichkeit, nachdenkenswerten Kaleidoskop.

Denn letztlich ist die Verwirrung, das Zweifeln und Verzweifeln Ulrike Meinhofs mehr als ein individueller Kampf um Anerkennung und Erlösung. Das seelenwunde Bemühen um die Schaffung einer lebens- und liebenswerteren Gesellschaft bleibt immer erkennbar. Auch wenn man, nicht nur bedingt durch die Wahl der Mittel, am Ende verlorengeht.

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