Happy End? Vielleicht!
Bis dass der Tod euch scheidet? Liebe, die jäh durch den Tod beendet wird. Lily Tucks neuester Roman widmet sich einem Thema, mit dem man sich eigentlich nicht befassen möchte. Dennoch wagt sie es und schreibt einen Roman über den Tod und den ungewöhnlichen Umgang einer Ehefrau mit dem plötzlichen Verlust ihres Mannes.
Nina ist seit über 20 Jahren mit ihrem Mann Philipp verheiratet. Obwohl sie Künstlerin und er Mathematiker ist, sind sie mit einigen Höhen und Tiefen, zu denen auch die eine oder andere Affäre gehört, immer noch glücklich und genießen es zusammen zu sein. Als Philipp eines Abends nach der Arbeit nach Hause kommt, ist sie gerade dabei, das Abendessen zuzubereiten. Anders als sonst fühlt sich Philipp etwas unwohl und müde und verabschiedet sich kurz, um sich noch etwas auszuruhen. Als Nina ihn schließlich zum Abendessen wecken will, ist er tot. Eine unvergleichliche Nacht voller Erinnerungen beginnt. Eine Nacht, die gleichzeitig die Bilanz einer turbulenten Ehe ist, in der die Liebe nie abhandenkam.
Lily Tuck, die 1938 als Tochter deutscher Emigranten in Paris geboren wurde und zeitweise in Peru, Uruguay und Thailand lebte, wohnt heute mit ihrer Familie in New York. Ihre multikulturelle Kindheit wird auch im Roman deutlich, der an vielen Stellen durch spanische, italienische, englische und vor allem französische Sätze unterlegt ist. Seit 1991 veröffentlicht sie erfolgreich Kurzgeschichten und Novellen, für die sie bereits mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde.
"Das Glück mit dir", beschreibt ohne anrührend oder sentimental zu werden, einen Rückblick auf 20 Jahre Ehe, die mit dem Tod des geliebten Ehemannes jäh und unerwartet endet. Noch eine Nacht will Nina bei Philipp am Bett wachen, um sich von ihm zu verabschieden. Eine Nacht, in der sie sich an alle Stunden und Minuten ihrer gemeinsamen Zeit erinnern wird. Schmerzvolle Momente, Augenblicke voller Eifersucht, Zeiten innigster Liebe und Vertrautheit, Intimität, Verrat, Alltag. All jene Ereignisse, die sie gemeinsam durchlebt, durchlitten und geliebt haben.
Sprunghaft erzählt Tuck in parallel verlaufenden Strängen rückblickend die Gedanken Ninas, die die Liebe, die sie für ihren Mann empfindet, erahnen lassen. Dabei wechselt sie immer wieder in die Gegenwart, in die scheinbare Realität, in der Angelegenheiten, wie die alarmierten Nachbarn, die Feststellung des Todes durch einen Arzt oder die noch zu benachrichtigende Tochter, die Gedanken bestimmen. Der Hauptschauplatz liegt jedoch in der Vergangenheit. Tuck ruft bei ihrer Protagonistin Erinnerungen an das erste Kennenlernen, die Heirat und die Geburt der Tochter hervor, entfacht bei ihr erneut Eifersucht und Schmerz, wenn sie Gedanken an Affären, verheimlichte oder nie thematisierte Schicksalsschläge ins Gedächtnis ruft.
Jeden einzelnen Strang streckt Tuck dabei über den kompletten Roman. In kurzen Abschnitten wechselt sie zwischen den einzelnen Erinnerungen, die sich nur selten über eine Seite erstrecken. Anders als zu erwarten, verliert Autorin nie den roten Faden. Der Leser bekommt an keiner Stelle das Gefühl, keinen Überblick mehr zu haben. Tuck verzichtet auf eine Vielzahl von Personen und konzentriert sich stattdessen auf die Details ihrer Protagonisten Nina und Philipp. Die Autorin geht auf Gedanken ein, beschreibt Gefühle wie Liebe, Zuneigung und Vertrauen, kontrastiert diese mit Schmerz, Trauer, Wut und Eifersucht, so dass an keiner Stelle des Buches die Gefahr besteht, dass es in die Ecke der "Schmalzromane" abrutscht.
Besonders interessant wird ihr Werk durch die vielen unerwarteten Passagen, in denen sie in andere Sprachen wechselt oder Nina Philipps mathematische Ausführungen beschreibt, wie er seinen Beruf auch in der Freizeit nicht vergessen kann oder versucht, auch seine Tochter von dem Besonderen der Mathematik zu überzeugen:
"Wenn du eine Zwillingsschwester hättest, Lulu, und du würdest ein paar Lichtjahre mit Lichtgeschwindigkeit in einem Raumschiff herumsausen und dann wieder zur Erde und zu deiner Zwillingsschwester zurückkommen, wer von euch wäre dann jünger, du oder deine Zwillingsschwester?"
Diese Begeisterung für seinen Beruf ist es, die auch Nina trotz ihrer komplett gegensätzlichen Tätigkeit als Künstlerin immer wieder aufs Neue fasziniert und an die sie sich liebevoll erinnert. Es wird deutlich, dass sich die Liebe gerade in den vielen kleinen Macken und Eigenarten des Partners ausdrückt, die man nicht nur toleriert, sondern als besonders liebenswert betrachtet. Die ein oder andere mathematische Abhandlung wird auch für den Leser interessant und wer sonst weniger mit Mathematik konfrontiert wird, wird sich vielleicht zum ersten Mal animiert fühlen, sich frei mit mathematischen Gedankenspielen auseinanderzusetzen.
So wechselhaft und unberechenbar wie der Roman selbst ist auch sein Ende. Ein Happy End, kein Happy End, das kann der Leser selbst entscheiden. Anders als in vielen Romanen, an denen am Ende das Gefühl aufkommt, der Schluss zerstöre die Illusion oder erweise sich der vorherigen Handlung nicht würdig, umgeht Tuck diese Schwierigkeit auf faszinierende Weise und findet ein gelungenes Ende, das allen Erwartungen gerecht wird.
Ein Roman, der berührt und unter die Haut geht.
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