Da gehe ich doch glatt mal durch die Mauer
Warum nicht einen Krimi schreiben, wird sich Radek Knapp gefragt haben? Schreiben ist schreiben, und warum soll man Angst haben, in ein Genre gepackt zu werden? Auch wenn der Krimi in Deutschland immer noch um die literarischen Weihen ringt. Warum nicht, wie Philip K. Dick eine Welt erschaffen, die logisch zu Ende gedacht wie die ferne Zukunft aussieht und doch dem Hier und Jetzt entspringt? Warum nicht nach Kalino aufbrechen? Überall gesunde, schöne Menschen um sich versammeln, die kein Verbrechen, keinen Tod, nichts als Unschuld kennen. Radek Knapp hat es gewagt.
Da gibt es also einen Detektiv in bester Sam-Spade-Tradition, der nicht überaus erfolgreich ist und schon mal für seine Auftraggeber ins offene Messer läuft. Wir haben es also nicht gerade mit einem Mainstreamhelden zu tun, dessen brillanter Geist, dessen Waffenkenntnisse oder sein Schlag bei Frauen unwiderstehlich sind. Julius Werkazy fragt sich selbst, warum ihn ein überaus lukratives Angebot aus Kalino, jenem sagenumworbenen Ort erreicht, der in bester Harry-Potter-Art nur über eine bestimmte Zugverbindung zu erreichen ist.
Nach unterhaltsamen Romanen wie "Franio" oder "Herr Kukas Empfehlungen" erscheint der Einstieg in "Reise nach Kalino" wie eine Melange aus bereits bewährten Querverweisen. Der Autor hält sich hier dicht an das, was weitläufig so als Detektiv angesehen wird. Nur die unterbezahlte Sekretärin mit den langen Beinen fehlt. Sie wird durch den klugen mitunter vorlauten Assistenten Bruno ersetzt.
Spätestens in Kalino jedoch ist Knapps Nähe zu Stanislaw Lem oder Philip K. Dick nicht mehr zu verleugnen. Irgendwo im Osten liegt ein Reich der Perfektion. Die Bewohner sind faltenlos, kennen kein Verbrechen, keine Krankheiten und besitzen eine Ernährung, die jeden Wissenschaftler aufgrund fehlender Schadstoffe zum Jubeln bringen würde. Natürlich ist das nicht ohne einen gewissen Schutz möglich. Nach außen sowie nach innen. Über allem herrscht Osmos, der gleich den Geruch des Despoten versprüht, der seine Untertanen gerne aus der Ferne beobachtet und sie mit einem Zaun umgibt.
"Reise nach Kalino" ist äußerst unterhaltsam, wenn Radek Knapp seiner Neigung zur Satire nachgibt, wenn er den Schönheitswahn, den Hang zum Perfektionismus direkt aus unserer Zeit in eine nicht allzu ferne Zukunft transportiert. Menschen wie Werkazy sind dann nur noch "Papiergesichter", weil es Falten und Furchen bei den Kalianern nicht gibt.
Sie halten sich für vollkommen, sind hochnäsig und in ihrer Naivität leicht zu kontrollieren. Sie sehen sich als höhere Entwicklungsstufe an und bekommen nicht mit, dass sie eigentlich Zuchttiere sind.
Der Sex ist zur Extraktion verkommen. Die Bindung von Mann zur Frau als Gemeinschaftserlebnis aufgehoben. Fortbewegungsmittel heißen "K-Mobile" und mittels einem handyartigen Gerät, das sie Gerlan nennen, werden sie ruhig gestellt, wird ihnen eine Portion stillen Glücks injiziert. Wer will so ein Paradies schon verlassen oder stellt es gar in Frage? Was dann passiert, beobachtet Werkazy gleich bei seinem ersten Ausflug in ein Entspannungslokal. Die "Perfektionsdiener" greifen ein. Was für eine grässlich treffende Wortschöpfung. Ein beschädigter Kalianer wird gleich aus dem Weg geräumt. Er hat sich selbst verstümmelt. In einer Welt der Perfektion hat das keinen Platz.
Wäre da nicht der Mord an Buschart, der erste Mord in Kalino überhaupt, der schnell aufgeklärt werden muss, um das feingefügte Paradies nicht zu gefährden, so wäre alles bestens. Der Mann war immerhin Vizedirektor der Nahrungsfabrik. Dass er verschwunden ist, kann nur bedeuten, dass ihn jemand ermordet hat. Doch wer? Alle sind doch glücklich?
Ein Whodunit mit einer vorhersehbaren Entwicklung. Das Ambiente eines Retortenstaats mit feinen, witzigen Einfällen funkelt kurz auf, ohne dass sich ein spannender Polt entwickelt. Dieser Autor vermag mehr. Er weiß:
"Unsere Mitmenschen da draußen wollen kein Gold mehr, sondern ein hübsches Gesicht und das Gefühl, dass sie so bis in alle Ewigkeit weitermachen können."
Den Krimi hätte es dazu nicht gebraucht. Er kleistert die Satire allzu sehr zu.
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