Solomon Gursky war hier
- Liebeskind
- Erschienen: Januar 2011
- 2
- München: Liebeskind, 2011, Titel: 'Solomon Gursky war hier', Seiten: 644, Übersetzt: Hartmut Zahn, Carina von Enzenberg
Auf das Leben!
Sicher wird dem regelmäßigen Leser der Belletristik-Couch aufgefallen sein, dass wir in den letzten Monaten verstärkt Romane des kanadischen Schriftstellers Mordecai Richler vorgestellt haben. Er hat viele Fürsprecher mit der Zeit gewonnen. Nicht zuletzt Maxim Biller, dessen Nachwort wir die Charakterisierung von Richlers Romanen entnehmen:
"Es ist die Geschichte der Enkel der Emigranten, die in einen angenehmen nordamerikanischen Wohlstand hineinwachsen, die ihre Tage mit Pool Billard und Hollywoodkino und Petting verbringen, die kaum mehr Jiddisch sprechen und Hebräisch beten können, die sich mit Baseball- und Fernsehstars besser auskennen als mit Raschi und Rambam und trotzdem immer wieder feststellen müssen, dass es Leute gibt, die ihnen im Beruf, im Privatleben zu verstehen geben, dass sie nur eine Bande dreckiger Juden sind."
Damit ist alles gesagt. Und wer jetzt noch nicht zu einem der schillernden Romane von Mordecai Richler greift, dem ist nicht zu helfen. Da gibt es diesen sagenumwobenen Salomon Gursky, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Jenem Spross eines Spirituosenclans, jenem Abkömmling eines Ephraim Gursky, der als blinder Passagier die legendäre Franklin-Expedition auf der Suche nach der Nordwestpassage überlebt hat. Wer den über 600 Seiten langen Roman aufschlägt, trifft gleich auf den Stammbaum der Familie Gursky, der sich biblisch darauf reduzieren ließe:
"Gideon zeugte Ephraim, Ephraim zeugte Aaron, Aaron zeugte Bernard..."
Und so weiter... bis Henry dann Isaac zeugte, und wir in der Gegenwart ankommen sind, mitten in den Neurosen des 20. Jahrhunderts in der Provinz Quebec. In einer Welt, in der Frauen geheiratet werden und sich mit der zweiten Reihe abfinden. Sprechen wir von den Gurskys, sind es die Männer, die Spuren hinterlassen haben.
Dass eine solche Dynastie sich aus Halbseidigen, Losern, Schiebern, Hochstaplern, Sektenführern zusammensetzt, mag mit dem Überlebenskampf zusammenhängen, den man als Familie halt durch ein Jahrhundert mit wechselnden Gefahren durchzustehen hat. Welche Familie verschweigt nicht gerne augenzwinkernd den ein oder anderen nicht vorzeigbaren Zweig in der Familienchronik, um auf den Glanz zu verweisen?
Auch wenn der sagenhafte Reichtum der Familie Gursky auf einer einzigen Geschäftsidee beruht: Schnaps. Solomon, Bernard und Morrie werden das Geschick entwickeln, ihre Destille zum Marktführer auszubauen: McTavish Distillers wird durch die Prohibition zu einem milliardenschweren Business. Doch die Justiz schläft nicht und so gerät ausgerechnet Solomon Gursky in ihre Mühlen. Ihm soll der Prozess gemacht werden, doch er kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Hat er überlebt? Ist er tot? Etwa untergetaucht? Solomon Gursky wird zu einem innerfamiliären Mythos.
Das klingt nach "Es war einmal in Amerika" von Sergio Leone, nach dem Broadcast-Hit "Boardwalk Empire" von HBO. Ein Handvoll Gangster stellen sich über das Gesetz und genießen das Leben, bis ihnen Handschellen angelegt werden. Auch der Bruderzwist, um das Sagen in der Familie, bedient so wunderbar das Genre.
Doch "Solomon Gursky war hier" ist mehr als das. Der Roman beschreibt die Probleme der einen Generation mit der anderen. Wie sich Enkel und Söhne immer wieder aufstellen, sich beweisen und sich an Vätern und Großvätern messen wollen. Wie es sich als Jude in der Welt verhält, wo die Welt ihnen doch immer wieder unter die Nase reibt, dass sie Juden nicht ausstehen kann. In einem furiosen Finale gipfelt der Roman schließlich darin, dass der Vater vom Sohn verspeist wird. Das nenne ich konsequent. Das beschreibt nur Mordecai Richler so.
Wenn der Autor der Literatur etwas geschenkt hat, dann all seine berüchtigten Heimatlosen, die gnadenlos unkorrekt, unzuverlässig, selbstsüchtig und liebenswert sind. Selbst der Alkohol, den Moses Berger auf der Suche nach Solomon Gursky in sich hinein schüttet, ist da keine Hilfe.
Eine Welt voller Egomanen und jener, die unter ihnen zu leiden haben. Eine Welt, in der ein Schriftsteller mit grotesker Szenenführung den Kern der Eitelkeiten so fein versorgt, dass wir einfach darüber lachen müssen, als fasse unser Leben von Geburt bis zum Tod nur eine Anekdote zusammen.
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