Vom Hors d'oeuvre zum Dessert
Weitgehend Überraschungsfrei und zäh gestaltet sich der neu auf Deutsch erschienene Roman der britischen Autorin Debby Holt, der doch nach einem so viel versprechenden Schmöker klingt: ein skandalumwitterter Politiker im Fokus der gnadenlosen Klatschpresse. Eine in ihren Grundfesten erschütterte Familie vor dem Auseinanderbrechen. Dazu Liebeswirren und Aufregungen im Leben dreier Frauen.
Leider entpuppt sich das beschworene "Hors d'œuvre aus verbotenen Früchten" als eher fader Obstsalat. Die vitamin-B-reichen Bestandteile – dröge bis unsympathisch agierende Protagonisten rund um den gestrauchelten Politiker – liegen weitgehend geschmacksarm in einer viel zu großen Schale. Seite um Seite quält man sich durch Belanglosigkeiten, Beschreibungen und Dialoge, immer auf der Suche nach etwas mit Biss, mit Aroma, was Lust macht auf mehr. Was als Sahnehäubchen eine ordentliche Portion Geschmack hätte bringen sollen, der Skandal, entpuppt sich letztendlich als marginal interessantes, in der heutigen Zeit fast zahm zu nennendes Skandälchen. Alle in allem solide Hausmannskost. Ein Rezept mit Sterne-Potential jedenfalls sieht anders aus. Angesichts dessen kommt schnell die Sorge auf, dass womöglich auch das Dessert - die "Amour surprise" - nicht viel schmackhafter und innovativer gerät.
Mitunter fällt es der Autorin schwer, die Frauen der drei Generationen zumindest nicht vollends aus den Augen zu verlieren: Alberta (Bertie) Granger tut ihr Bestes, um ihre moderne Patchwork-Familie zusammenzuhalten. Nach dem Tod ihres ersten Mannes lebt sie glücklich und zufrieden mit ihrem neuen Partner Tony zusammen, und ihre Catering-Firma in Bath brummt. Ihre bereits erwachsene Tochter Hannah arbeitet in London an ihrer Karriere; Sohn Jacob ist mit seinen 15 Jahren zwar etwas blasiert, aber seiner eher einfältigen Mutter intellektuell deutlich überlegen. Selbst wenn die emotionale Nähe zu beiden Kindern teilweise auf der Strecke bleibt, ein gewisser Stolz auf den Nachwuchs schwingt in Albertas Gedanken durchaus mit.
Albertas Mutter Philippa Trussler genießt derweil das Seniorendasein mit ihrem pensionierten Politiker-Gatten und Gartenpflege. Was jetzt weitgehend einschläfernd anmutet, ist es weitgehend auch.
Schwung bringt allenfalls der anzüglich-verspielte Schlagabtausch mit Daniel Driver, dem unverschämt gutaussehenden, "reifen Schönling", den Alberta ungeniert im Schwimmbad mit den Augen auszieht ("seine anthrazitfarbene Badehose überließ nichts der Fantasie"), und der sie dann nicht mehr loslässt. In mehrfacher Hinsicht. Knifflig wird es, als dieser sich bei ihnen einquartiert. Denn es handelt sich um einen guten Freund ihres Lebensgefährten. Als Alberta feststellen muss, dass Tony nach all ihren gemeinsamen Jahren doch noch Gefühle für seine Ex-Frau zu haben scheint, ist das Gefühlschaos perfekt.
Dann der Schock. Das Schöckchen: Lord Trussler, Angehöriger des Hochadels, ehemaliger Staatsminister, Buchautor und Unternehmer, Albertas bewunderter Vater, wird tot aufgefunden. Mit 82 Jahren. In einem Bordell. Tja. Was hierzulande in den Schlagzeilen bestenfalls noch für eine hochgezogene Augenbraue taugt, erschüttert die britische High Society bis ins Mark: Albertas Familie gerät in den Fokus boulevardesker Medien. Sorgsam unter Teppiche Gekehrtes, Verstecktes und Ungelöstes gerät an die Oberfläche. Kann die Familie dem standhalten? Und wem wird Alberta letztendlich ihr Herz schenken, Tony oder doch Daniel?
Die anfängliche Besorgnis ist berechtigt: Der Spannungspegel bleibt mäßig bis zum Schluss.
Autorin Debby Holt ist Mutter von fünf Kindern und lebt tatsächlich in Bath. Neben über 50 in Frauenzeitschriften veröffentlichten Kurzgeschichten gehen inzwischen sechs Romane auf ihr Konto. Letztere, so die Autorin selbst, geben ihr die Freiheit, eigene Sorgen und Nöte zu verarbeiten und moralisch verzwickte Situationen auszuloten. Inspiration bietet – nicht überraschend – vor allem die eigene, weitverzweigte Familie.
In gestraffter Form birgt "Eine Überraschung kommt selten allein" Potential für eine romantische Komödie im Stil von "Bridget Jones" oder "Vier Hochzeiten und ein Todesfall", ein Film, dem Debby Holt offenbar nicht viel abgewinnen kann. Dabei fordert der Zusammenprall zwischen dem charmanten, wortgewandten Daniel und der überfordert-mädchenhaften Alberta entsprechende Assoziationen geradezu heraus.
Vielleicht hätte es das Lesevergnügen vergrößert, Jacob als zweiten Erzähler einzusetzen und ihn zumindest den Skandal kommentieren zu lassen: britisch-böse, satirisch, bissig. So bleibt es leider ein belangloser Roman ohne Nach- und Nebenwirkungen.
Was angesichts dessen amüsiert, ist der Originaltitel: "Recipe for Scandal”. Ja, das Rezept ist genau das, was zumindest dem Hors d'œuvre fehlt. Die Hauptspeise glänzt durch Abwesenheit, und das Dessert rettet die verunglückte Gesamtkomposition dann auch nicht mehr.
Keinen Nachschlag bitte.
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