Eine historische Überfahrt zum schwarzen Kontinent
Berlin im Jahre 1909: Gerade erst hat die Fotografin Emma Thieme ihren Vater zu Grabe tragen müssen, als sie die Vergangenheit einholt, und die junge Frau in eine neuerliche Schockstarre fallen lässt. Denn entgegen ihres festen Glaubens nun Waise zu sein, fällt ihr ein Lebenszeichen ihrer seit 12 Jahren totgeglaubten Mutter Constanze in die Hände. Ein Brief mit Diamanten, dessen Poststempel aus Deutsch-Südwestafrika stammt. Nach dem ersten Schrecken beschließt Emma, die Einladung ihrer Bekannten, bei der es sich um die talentierte Pianistin Dorothee von Hirschberg handelt, anzunehmen und sie auf der Überfahrt in die malerisch anmutende Lüderitzbucht zu begleiten. Eine erkenntnisreiche Reise, die Emmas Leben für immer verändern soll.
Micaela Jary ist eine Autorin mit dem Herzen einer Weltenbummlerin. Sie stammt gebürtig aus Hamburg, wuchs im Tessin auf, lebte eine Zeitlang in Paris und pendelt nun zwischen Berlin und München. Darüber hinaus gibt sie sich der Passion für Süd- und Ostafrika hin. Bevor Micaela Jary hauptberuflich Schriftstellerin wurde, arbeitete sie nach ihrem Sprachenstudium als Redakteurin.
Jarys Hingabe zu Sprache, Historie und Afrika bündelt sich in ihrem aktuellen Roman Die Bucht des blauen Feuers zu einem wirkungsvollen Roman, der durch fundierte Detailtreue besticht. Wie auch in Sehnsucht nach Sansibar erzählt die Autorin gern von persönlichen Schicksalen, eingebettet in geschichtlich bedeutsamen Kontext.
Die Bucht des blauen Feuers gleicht einer Zeitreise, die geweckte Sehnsüchte, geschürte Hoffnungen und lang gehütete Geheimnisse mit sich bringt.
Als Kulisse wählt Micaela Jary die bildschöne Lüderitzbucht, über deren Idyll jedoch durch das hart umkämpfte Geschäft des Diamantenschürfens eine Wolke aus dunklen Rangeleien schwebt. Der Boom des Diamantenabbaus brach, so ist es historisch belegt, 1908 in der Bucht aus. Eine Tatsache, die unterstreicht, dass die Autorin es geschickt versteht, Historie mit Fiktion zu vereinbaren.
Die schicksalhafte Geschichte des unbedarften Fräuleins Emma Thieme glänzt besonders durch den Sinn für das Zeitgenössische. Der Autorin gelingt es, einen historischen Roman zu schreiben, dem es weder an Dynamik noch an Contenance mangelt. Sowohl die gesellschaftlichen Normen als auch die Rhetorik des frühen 20. Jahrhunderts werden anschaulich und pointiert aufgegriffen. Dies wird in den Gedanken der Figuren sowie den Dialogen ersichtlich, heißt es hier beispielsweise:
"Meiner Ansicht nach brauchen Frauen entweder einen Vater, einen Ehemann oder einen anderen Vormund, der sich um ihre rechtlichen Belange kümmert."
Jenen Ansichten widerstreben nun die beiden Protagonistinnen Emma Thieme und ihre gute Bekannte Dorothee von Hirschberg. Die zwei jungen Frauen trotzen den Normen, indem sie Eigenständigkeit, selbstständige Entscheidungen und Ehrgeiz demonstrieren. Nichtsdestotrotz sehnen sie sich nach Geborgenheit und Zuneigung. Mit dieser Charakterstärke versehen, gleichen Jarys Figuren einem für die damalige Zeit recht fortschrittlichem Frauenbild, welches sich in der männerdominierten Welt gut zu behaupten weiß.
Ferner kreiert die Autorin eine außergewöhnliche Mutter-Tochter-Beziehung, die durch ihre Endlichkeit berührt und in ein komplexes Familienschicksal eingepasst ist. Hinzu kommen Ansätze romantischer Avancen, eine beißende Gewissensfrage bezüglich der zutage geförderten Diamanten und lauter werdende Mordverdächtigungen, die für Ungewissheit sorgen.
Mit fortschreitender Handlung verlaufen die individuellen Bestimmungen der Protagonisten zu einem einzigen schlüssigen Bild. Dabei werden Vorahnungen wahr und neue Hoffnungen geweckt. Eine gänzlich neue Realität entsteht:
"So traurig Constanzes Schicksal ist – ich bin froh, dass alle Missverständnisse zwischen uns ausgeräumt sind, Emma."
Denn Heimlichkeiten und Irrglaube schwingen zwischen den Zeilen stets mit und untermauern das Geheimnisvolle des Romans.
Die Bucht des blauen Feuers entführt in eine ferne Welt zu einer anderen Zeit, wobei Entschlossenheit, Verbundenheit und guter Wille sich oftmals über gesellschaftliche Konformität und Verdruss stellen. Die Aufforderung "Lass es uns probieren, Emma!" hat demnach symbolische Ausdruckskraft und umhüllt die Geschichte wie ein bestätigender Mantel.
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