Kleiner Vogel, klopfendes Herz
- Bloomsbury
- Erschienen: Januar 2012
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- Berlin: Bloomsbury, 2012, Titel: 'Kleiner Vogel, klopfendes Herz', Seiten: 288, Übersetzt: Christiane Buchner
Wegweiser in die Hölle
Der Titel ist Kitsch pur: "Kleiner Vogel, klopfendes Herz." Ein Titel, der täuscht. Die kanadische Schriftstellerin Miriam Toews setzt sich auseinander, mit ihrer eigenen Herkunft, ihrem Leben in einer Mennonitengemeinde im kanadischen Manitoba. Im Original ist der Roman schlicht mit "Irma Voth" überschrieben. Irma, 19 Jahre alt, Tagebuchschreiberin, Ich-Erzählerin, die versucht, erwachsen zu werden und heimlich weint, weil sie ihre Mutter vermisst.
Schauplatz des Geschehens ist der mexikanische Bundesstaat Chihuahua, gelegen im Norden des Landes, an der Grenze zu den Vereinigten Staaten. Trocken ist es dort, unerträglich heiß im Sommer. Sand gibt es en masse, Abwechslung keine. Irma liebt das Leben - eigentlich. Sie geht zum Rodeo. Dorthin, wo Männer ihre Kräfte messen und Konflikte mit der Hand am Revolverzug austragen. Irma verliebt sich, in Jorge, einen Mexikaner, der Ärger ist vorprogrammiert. Irma ist Mennonitin, gehört einer der ältesten evangelischen Freikirchen an. Plattdeutsch ist ihre Muttersprache, andere Sprachen lernt sie später. Ihre Eltern, das weiß sie längst, werden Jorge nicht mögen.
Irmas Leben ist kein Rausch. Sie und ihr Mann, der schon bald verschwindet, bewohnen ein Haus neben dem der Eltern. Irma kümmert sich um die Kühe der Familie, bis schließlich ein bunter Filmtrupp anrückt, der Irmas Leben auf den Kopf zu stellen droht. Die junge Mennonitin wird als Dolmetscherin für das Filmteam engagiert und beginnt, ihr Leben zu hinterfragen. Sie finden Gefallen an den rebellischen Filmleuten, die kiffen, saufen, raufen und sich nehmen, was sie wollen. Ungefragt, der Lust folgend. Irma ist hin- und hergerissen zwischen den Welten. Sie weiß, sie muss gehen. "Es ist immer gut, einen Wegweiser zu haben", vertraut sie ihrem Tagebuch an, "auch wenn er nur in die Hölle führt".
Und eben diese Hölle durchlebt sie, nicht alleine zwar, sondern mit ihren Schwestern Aggie und Ximena, aber eben Hölle. Das Trio verlässt die Familie, in der seit dem Tod der ältesten Schwester nicht mehr gesprochen wird, und geht nach Mexiko City.
Toews beschreibt den Wandel einer jungen Frau, ihre Gratwanderung, weg aus der Gemeinde, rein in ein vermeintlich freies Leben, das sich doch nicht als so frei erweist. Irma erkennt ihre Fehler aus der Vergangenheit, quält sich mit dem Gedanken, dass zwei Menschen wegen ihrer Unachtsamkeit zu Tode gekommen sind. Sie zieht Bilanz, verzweifelt zunächst, rappelt sich auf und wagt den Neustart. Sie lässt wieder zu, dass auch schöne Geschichten ihrer Vergangenheit wieder Einzug in ihren Kopf halten. Ihre Kindheit in Kanada etwa, als der Vater, ähnlich wie der Vater des Freundes in Felicitas Hoppes Roman "Hoppe", den Kindern ein Feld zum Eishockey spielen präpariert. Das Traurige allerdings überwiegt. Und zu dem Traurigen gesellt sich Heimweh. Der Wunsch zurück in ein Leben vor dem Drama, vor dem Ausschluss aus der familiären Gruppe, vor dem Verlust geliebter Menschen.
Die 1964 geborene Autorin wählt für ihre Geschichte eine Sprache, die zuweilen recht salopp daher kommt, was dem zerwühlen Innenleben der jungen Irma aber sehr gut zu Gesicht steht. Auch ihr oft böser Humor und die reichlich mit Zynismus gewürzten Textpassagen beleben den Roman, der sonst eher trivial daherkommt und nicht gerade mit der "großen" Literatur Schritt halten kann. Ganz anders etwa als Rhoda Janzen in ihrem Roman "Fix und Forty". Auch Janzen rechnet ab mit ihrem Leben und ihrem Dasein als Mennonitin - mit stramm geflochtenem Zopf und verbeulter Kleidung. Aber anders als Toews gewährt Janzen Einblicke in das ihr so verhasste Leben, in die ihr so verhasste Gemeinschaft, in die sie allerdings später wieder zurückkehrt. Toews Protagonisten schimpfen nur über das, was ist, lassen aber offen, warum es missfällt. Schade ist das schon, weil der Schreibstil der Kanadierin ein besonderer ist. Nur mangelt es an Inhalt.
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