In Bedrängnis

  • : Dörlemann, 2012, Titel: 'In Bedrängnis', Seiten: 256, Übersetzt: Michael Walter
In Bedrängnis
In Bedrängnis
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Jochen König
901001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2012

Den Menschen da in seiner Bettlerblöße, genüber der Natur in ihrer Größe.

Was als Lobgesang auf die Errungenschaften der Technik beginnt, endet beinahe im Desaster. Die "Archimedes" ist ein Turbinendampfer von etwas mehr als 9000 Tonnen, technisch auf dem neusten Stand und gefeit gegen Unwetter, schwere See und Unwägbarkeiten. Dann gibt es noch den neu erbauten Panama-Kanal, der den Seeweg erheblich sicherer macht. Stürme sollten auch kein großes Problem darstellen, die Meteorologie hat 1929 "bereits ordentliche Fortschritte" gemacht, Entstehung und Verlauf eines Hurrikans können sehr genau berechnet werden. Keine Gefahr also für die vollbeladene "Archimedes" auf ihrer Etappe von Norfolk (Virginia) nach Colon und dem Panamakanal.  Ein Irrtum.

Denn unversehens befindet sich das Wunder der Technik inmitten eines Hurrikans, wird zum hilflosen Spielball, während an Bord die Seemänner um ihr Leben und das des Schiffes kämpfen.

Am Vorabend des zweiten Weltkriegs erschienen, im Jahr der Weltwirtschaftskrise spielend ist "In Bedrängnis" weit mehr als ein bloßer, spannender Abenteuerroman. Der Roman funktioniert zwar auch als solcher außerordentlich gut, Hughes Stil ist knapp und konzentriert, detailliert dort, wo die Beschaffenheit der Maschinerie von Bedeutung ist, um ihr Vermögen und ihre Limitationen sichtbar werden zu lassen. Wie die genaue Beschreibung des nahezu unzerstörbaren Schornsteins.

"Der Schornstein (er bestand aus einem inneren und äußeren Teil, die miteinander verklammert wurden) war an sich schon stabil genug, um jeder gewöhnlichen Belastung zu trotzen. Bei korrekt montierten Stagen stand dieser Schornstein so sicher wie die Bank von England."

Der Hurrikan wird als erstes den Schornstein aus seiner Verankerung reißen. Die Unberechenbarkeit der Natur ist auf dem Siegeszug, Die Errungenschaften einer technokratischen Welt werden zu ihrem eigenen, größten Risiko. Zwischen Überleben und Untergang steht nur noch eine Handvoll Seeleute. Die sich im Angesicht der Gefahr entwickeln, bzw. verändern. Wo die einen über sich hinauswachsen oder zumindest ihre Arbeit stoisch verrichten angesichts der Gefahr, werden andere zu Feiglingen, Untätigen und Paranoikern, sehen einen explosiven Konflikt mit den chinesischen Hilfskräften voraus. Die Angst der Elite vor der hungernden Arbeiterklasse. Die allerdings diesmal nicht nur sprichwörtlich im selben Boot sitzen.

Die "Archimedes" ist ein Mikrokosmos, in dem sich große Geschichte im Kleinen abspielt. Hughes setzt das nicht plakativ um, "In Bedrängnis"  ist kein politisches Pamphlet, sondern ein poetischer, spannender und stellenweise subversiv-witziger Text, der über (ausgefeilte) individuelle Charakteristiken und die Grenzerfahrzungen während der Bewältigung einer Extremsituation, weit über den bloßen Gegenstand seiner Betrachtung hinausweist. Hughes lässt die Erzählung gekonnt zwischen atemloser Aktion und dem Stillstand, der noch größeren Schrecken verheißt, hin- und herpendeln. Versetzt mit apokalyptischen Bildern des Untergangs - wie die Flut der ölverklebten Vögel, die sich über das Deck der "Archimedes" ergießt und von der Besatzung notgedrungen totgetreten wird – ist "In Bedrängnis" ein atemberaubend aktuelles Werk, das auch sprachlich in erstaunlicher Frische erstrahlt.

"In Bedrängnis" ist ein literarisches Kleinod, für dessen Wiederentdeckung und Veröffentlichung man dem Dörlemann-Verlag – dazu noch in feiner Übersetzung – dankbar sein kann. 

In Bedrängnis

Richard Hughes, Dörlemann

In Bedrängnis

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