Die gelben Augen der Krokodile
- C. Bertelsmann
- Erschienen: Januar 2011
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- : C. Bertelsmann, 2011, Titel: 'Die gelben Augen der Krokodile', Seiten: 608, Übersetzt: Nathalie Lemmens
Aus dem Schatten der Schwester
Wie eine moderne Variation des Märchens vom hässlichen Entlein liest sich Katherine Pancols charmanter Überraschungserfolg "Die gelben Augen der Krokodile", der sie in Frankreich auf die Bestsellerliste katapultierte. Im Zentrum einer großen Pariser Familie stehen die Schwestern Joséfine und Iris. Unterschiedlicher können zwei Menschen kaum sein: Wo Iris auftaucht, drehen sich die Köpfe, denn die junge Anwaltsfrau schwimmt nicht nur im Geld, sie ist auch noch bezaubernd schön mit ihrer schlanken, hochgewachsenen Gestalt und ihren unglaublich blauen Augen. Joséfine dagegen ist unterwürfig, übergewichtig und unansehnlich.
Mit der erfolgsverwöhnten Schwester kann die promovierte Historikerin nicht mithalten. Ihrer dominanten Mutter zufolge ist ihre bestandene Agrégation, die es ihr erlaubt, französische Literatur und Altphilologie an der gymnasialen Oberstufe und der Universität zu unterrichten, bestenfalls dazu geeignet, um "halbwüchsigen Vorstadtschülern als Zielscheibe (zu) dienen" oder sich "auf einer Mülltonne vergewaltigen" zu lassen. Gnade findet sie damit vor den anspruchsvollen Augen der Familie nicht.
Als Joséfine auch noch dahinter kommt, dass ihr Mann Antoine, ein arbeitsloser Träumer, sie mit einer jüngeren betrügt, verwandelt sich das Leben der zweifachen Mutter vollends in einen Scherbenhaufen. Sie setzt ihn vor die Tür. Doch während er sich an der Ostküste Afrikas niederlässt, um dort mit seiner neuen Liebe Krokodile zu züchten, steht sie in der Heimat vor existentiellen Problemen. Mit ihrem kleinen Gehalt muss sie nicht nur sich und ihre beiden Töchter allein durchbringen, sie muss auch noch den Schuldenberg abtragen, den er hinterlassen hat.
Dass sie ausgerechnet mit ihrem - von ihrem Mann als "blaustrumpfig" belächelten - Interesse am Frauenleben des 12. Jahrhunderts bald das Leben dreier Frauen im 21. Jahrhundert finanzieren wird, hätte sie sich wohl auch nicht träumen lassen. Doch sie bekommt ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann: Sie soll als Ghostwriterin einen mittelalterlichen Roman für ihre Schwester Iris verfassen. Der geht es ausschließlich um den Ruhm. Das Geld würde sie bereitwillig der Schwester überlassen. Joséfine sagt zu. Schnell wird die vermeintliche Auftragsarbeit zur Selbsttherapie: Während des Schreibprozesses wächst Joséfines Selbstbewusstsein, und sie beginnt, sich zu verändern... Will sie wirklich weiterhin im Schatten ihrer Schwester verharren?
Nein, neu ist die Geschichte sicher nicht: Ein vom Ehemann verlassenes Mauerblümchen quält sich mit finanziellen Nöten durch einen freudlosen Alltag, muss sich mit zwei pubertierenden Töchtern und einer herrischen Mutter herumschlagen - bis sie schließlich über sich hinauswächst und richtig durchstartet. Aber der Roman macht Mut und stammt mitten aus dem Leben.
Man begegnet einem bunten Potpourri der unterschiedlichsten Figuren und wird mit skurrilen Lebensentwürfen konfrontiert. Wie in jeder guten Seifenoper wird dabei gelogen, betrogen, intrigiert, gestorben und geliebt: Paare verlieren und finden sich, und am Ende sind die Karten teilweise vollkommen anders gemischt.
Dabei wirkt die Charakterzeichnung von Familienmitgliedern und Freunden jedoch oft starr, eindimensional und überzeichnet; denn die einmal zugeschriebenen Eigenschaften werden fast durchgängig beibehalten. So wird auch die extreme Unterschiedlichkeit der Schwestern Iris und Joséfine bis zum äußersten strapaziert. Vor allem das Verhalten letzterer ist dazu manchmal schwer nachvollziehbar und von einer fast unerträglichen Naivität und Unterwürfigkeit geprägt. "Die gelben Augen der Krokodile" bilden allerdings auch nur den Anfang einer als Trilogie angelegten Familiengeschichte, so dass man einigen Entwicklungen vielleicht mehr Zeit einräumen muss.
Trotz gewisser Schwächen dringt der dialogstarke Herzschmerz-Roman durch: Die Charaktere lassen beim Lesen nicht kalt. Sie rufen - wenn schon nicht Sympathie - so doch Gefühle der Verärgerung oder Befremdung hervor. Natürlich fehlen auch Klischees, Kuriositäten und der gelegentliche böse Seitenhieb auf die französische High Society nicht.
Dass dieses Buch deutlich mehr ist als seichte Unterhaltung für Zwischendurch, ist vor allem der Erzählkunst, aber auch dem Wortwitz und Humor der Autorin geschuldet. Katherine Picol gelingt es mit leichter Hand, ihr Publikum zu fesseln und emotional zu berühren. Die wechselnden Perspektiven und Sichtweisen lesen sich schwungvoll, unterhaltsam, und der verzweigte Roman betört mit französischem Flair und einer unnachahmlichen Mischung aus Ernsthaftigkeit und Witz. Einmal angefangen, legt man diesen Schmöker nicht mehr aus der Hand. Auch nicht, wenn man eigentlich gar keine Frauenromane mag.
Katherin Pancol, C. Bertelsmann
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