Liebe als Farce
Der Titel ist großartig: "Notlügen". Alles verbirgt sich dahinter, oder auch nichts. Richard Swartz hat "Notlügen" zum Titel seines neuesten Romans gemacht und macht aus dem, was so vielversprechend klingt, nur einen Anriss. Schade. Schreiben kann er, der 1945 in Stockholm geborene Autor. Auch gelingt es ihm, Bilder im Kopf zu erzeugen, die in diesem Fall oft erotische sind. Mit dem Aufkommen allerdings, verblassen sie auch schon wieder, weil Swartz nichts beendet. Er fügt Szenen zusammen, verlässt sie alsbald wieder, ohne ihnen einen Abschluss zu gönnen.
Sechs Geschichten bringt Swartz zu Papier, die inhaltlich alle miteinander zusammen hängen – aber irgendwie auch nicht. Es geht immer um Betrug, es geht immer um Liebe, oder scheinbare Liebe, und es geht immer darum, dass einer mehr liebt, als der andere. Dabei verzichtet der Autor und Journalist auf so Oberflächliches wie Namen. Es geht um "der Mann" und "die Frau". Dabei verbindet sie mehr, als die etwaige Namenlosigkeit.
Besonders stark ist das Kapitel, in dem ein Mann seine Frau betrügt und sie später zur Freundin der Geliebten werden lässt. Wie ein Spinnennetz baut Swartz das Geschehen auf. Wirft Bälle in alle Richtungen, lässt ein Gefühl von Liebe aufkeimen, lässt den Geliebten (den Betrüger) im Ehebett des Mannes (des Betrogenen) aufwachen. Schließlich organisiert der Geliebte einen Opernbesuch: Mit seiner Frau und ihrem Mann. Während die beiden ungewollten Personen im Zuschauerraum Platz nehmen, amüsiert sich das Liebespaar in der Loge. Während der "Freischütz" geboten wird, fällt die Kleidung, die Hemmungen dazu, und am Ende obsiegt eine Haarbürste aus rosafarbigem Plastik.
Mit einer interessanten und bitterbösen Anekdote eines Mannes, der unfreiwillig in die Vereinigten Staaten geht, leitet Richard Swartz seinen Roman kraftvoll ein. Dabei geht es um den amerikanischen Traum, der fordernd ist, zu laut für den Mann, der alleine gekommen ist, ohne seine Frau. Die nämlich betrügt ihn im zurück gelassenen Europa mit einem anderen Mann. Schließlich nimmt der Mann eine Fremde mit in sein kärgliches Zimmer, was seinen Kummer, seine Einsamkeit und seine Abneigung gegen das Land, in dem Hot Dogs und Hamburger gegessen werden und ein Mensch, der in der Lage ist, mit Messer und Gabel sein Mittagsmahl einzunehmen, noch größer werden lässt.
Swartz mag seine Figuren. Er leidet mit ihnen. Gibt den Liebenden eine Stimme und hält zu ihnen. Nur leider gibt er ihnen kein Ende. Der Ausgang der Geschichten ist zumeist offen. Dabei erfährt der Leser weder wo das Techtelmechtel geschieht, noch, wer sich genau dahinter verbirgt und wer der Mensch ist, der unter all dem leidet. Swartz macht das gut. Er erlaubt nur flüchtige Einblicke, lässt kurz Geschehenes erhaschen, weiht etwas ein: Aber nicht genug. Gerade diese Art des "Klatsches" ist es doch, die interessiert. Jeder will doch wissen, wer mit wem und wer mit wem nicht? Und warum? Oder, Ort, Zeit, Personen sind unwichtig, weil alle Geschichten sich überall, immer, mit jedem wiederholen könnten?
Richard Swartz ist ein kühner Schreiber. Ein Seher und ein Beschreiber. Seine Bilder bleiben im Kopf haften – wie das Cover seines neuen Romans: Darauf werden zwei Gesichter scheinbar zu einem. Schön dargestellt. Aber Swartz ist kein Aufklärer, was schade ist, weil gerade – oder weil besonders – die Liebe interessiert. Auch das Vergehen an ihr, der Liebesbruch, das Liebesleid. Swartz hinterfragt die Liebe, stellt ihre Wahrheit in Frage, lässt vermuten, leiden, bitten, verzeihen. Ruft Gefühle hervor, die beängstigen, die es weg zu schieben gilt. Er macht das in einer Sprache, die fesselt, nur, er kratzt an der Oberfläche. Ungeklärte Liebesgeschichten gibt es reichlich in der Realität, da sollten doch Romane, Erfundenes, mit einem Ende – welcher Art auch immer – aufwarten. Das wäre schön.
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