Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
- S. Fischer
- Erschienen: Januar 2000
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Nach Moskau
Bankern wird im Allgemeinen als herausragende Eigenschaft nicht unbedingt eine romantische Ader angedichtet. Eher sind sie mit einem tiefen Sinn für das Machbare, das Risiko ausgestattet und gelten nicht als entscheidungsscheu. Nick arbeitet seit vier Jahren in Moskau, hat sich eingelebt in ein Russland, von dem er sich zumindest eines versprach: einen Karrieresprung. Nach seiner Pflichtzeit in einer russischen Filiale, die darauf spezialisiert ist, die zukünftigen Oligarchen mit Krediten auszustatten, erwartet er, als Partner in London aufgenommen zu werden.
Würde da nicht Mascha seinen Weg kreuzen. Wie sie sich in der Moskauer U-Bahn begegnen, hat sogleich was von Nicholas Sparks unterhaltungsträchtigen Liebesromanen. Der auf das Moskauer Nachtleben fixierte Banker, der sich zu arrangieren versteht, verfällt, wie soll es auch anders sein, dem weiblichen, russischen Mysterium. Vor allem der Jugend und der scheinbaren Frische.
Nicht nur, dass Miller mit einem Moskau aufwartet, dass den Boulevardschlagzeilen entnommen zu sein scheint, auch seine tieferen Einblicke sind vorhersehbar. Waren es vor dem Zusammenbruch der UdSSR die Kommunisten, der KGB, der Gulag, die aus rein politischen Gründen Verfolgten, schlagen nun Korruption, Gewalt, Gier, Prostitution und Hemmungslosigkeit im Dienste des Kapitalismus zu. Alle wollen sie ihr Geschäft machen oder ein Stück vom Kuchen für sich beanspruchen. Nick streunt durch Russlands Hauptstadt, wie der Chronist des bekannten Schreckens. Wir begegnen allem, was der Westen am Osten nicht mag, und natürlich darf die Selbstkritik nicht fehlen, auch Nick ist ein Parasit, der für sich in Anspruch nehmen will, was ihm seines Zeichens zusteht.
Das ist ärgerlich, bestätigt aber den neuen eisernen Vorhang unserer Vorstellungen, die nicht mehr aus politischen Interessen wie einst, nun vielmehr aus wirtschaftlichen Pfründen besteht. Auch wenn inzwischen russische Banker in den Westen vordringen und die marode abendländische Wirtschaft mit Ostkrediten ausstatten. Um eine möglichst polyglotte Ausstattung seiner Liebesgeschichte zu entwerfen, stattet Miller den Evergreen "Von den bösen Russen" mit triefender Moral aus.
Wer zuletzt die Diskussion über den deutschen Wohnungsmarkt verfolgt hat, kann sich glücklich schätzen, dass wir keine russischen Verhältnisse haben. In Moskau werden Wohnungen von Amts wegen verteilt und sind ohne ein gewisses Schmiergeld nicht anzumieten. Weit schlimmer noch, wenn sie getauscht werden sollen, die alte Wohnung mehr wert ist als die neue. Dafür muss ein Ausgleich geschaffen werden. Und natürlich agiert sogleich im Hintergrund der russische Gangster, der die Liebe zum eigenen Profit einsetzt.
Russinnen sind schließlich einzig und allein auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Gnadenlos nutzen sie die Verliebtheit eines Westlers aus. Dass Mascha aus Nicks Leben wieder verschwindet, der verweichlichte Banker bis zum bitteren Ende sich nicht der Wahrheit stellen will, aber als Erzähler so tut, als habe er das ja alles vorausgeahnt, ist dem Willen eines Autors unterworfen, der den Pulp bedient und eine verquere "Romance Novel" verfasst.
Der 1974 geborene Andrew Miller wurde mit diesem Roman für den Booker-Prize 2011 nominiert. Wer die englische Vorliebe für das russische Schattenleben in Thrillern wie hoffnungslosen Liebesgeschichten kennt, den wird das nicht verwundern. Tief dringt A. D. Miller bei seiner Eroberung Moskaus nicht vor. Sein Nick zieht los, um das zu finden, was er ohnehin finden will.
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