Göttliche Briefe an den Gott mit dem Dreizack
Wer Nooteboom kennt, weiß, dass diese Bücher nichts für Zwischendurch sind. Nicht mal so nebenbei gelesen, auch nicht, wenn es, wie sein aktuelles Werk, keine 160 Seiten an Text bietet. Zeit und Muße sollte der Leser haben und die Bereitschaft, sich auf etwas Besonderes und Außergewöhnliches einzulassen.
Nooteboom sitzt vor einem Fischrestaurant am Vitualienmarkt in München, gönnt sich ein Glas Sekt und liest ein Buch von Sándor Márai. Auf der Serviettem, die ihm vorgelegt wird, erblickt er ein Bild des Meeresgottes mit dem Dreizack, Poseidon. Er deutet dies als Zeichen und beschließt, Poseidon Briefe zu schreiben, wenn er Márais Buch "Die vier Jahreszeiten" zu Ende gelesen hat.
Kleine Wortsammlungen, die aus seinem Leben berichten, will er an Poseidon schreiben. Er schreibt diese auf einer Insel, auf der er im Sommer lebt und blickt dabei über das Meer.
So schreibt er Poseidon, dass ihm auf einem schmalen Pfad zwei Jungen begegneten und er das Gefühl bekam, sich selbst wiederzuerkennen. Und so schreibt er
"Gibt es das, ein anderer als Spiegel, in dem das eigene Alter verfliegt? Warum denke ich, dass ich mir selbst begegnet bin? Und falls das nicht zutrifft, wem bin ich dann begegnet, den ich nie kennen werde"
Philosophisch, phantasievoll und weitläufig sind Nootebooms Gedanken. Von der vergangenen Jugend erzählt er Poseidon ebenso, wie von der ungeheuren Intrigantin, der ein Prinz seine Position zu verdanken hat. Von sieben Eseln im Papstpalast zu Avignon, aber auch über Paul Cézanne, der stundenlang einen Apfel betrachtet. Zudem philosophiert er über einen Dichter, der sich wiederum Gedanken über einen Stein macht.
Sprachliche und erzählerische Brillanz, Feingefühl für die Komposition der Worte, weise Tiefgründigkeit in der Betrachtung der - so scheint es - primitivsten und einfachsten Dinge, die im täglichen Eiltempo des Lebens als selbstverständlich und einfach als gegeben betrachtet und deshalb gar nicht mehr wahrgenommen werden. Nooteboom regt den Leser zum Denken an. Fordert ihn. Bei Nooteboom steht auch der Tod nicht im Gegensatz zum Leben, sondern ist einfach ein selbstverständlicher Teil desselben und eine logische Konsequenz des Endlichen.
Das profunde Wissen des Autors über die griechische Mythologie wird in seinen Briefen spür- und greifbar, ohne in irgendeiner Weise aufdringlich zu sein. Träume und Fiktionen, philosophische Gespinste und Erlebnisse, ein ewiges Spiel von Ankunft und Abschied sind seine Texte. "…Sinnbilder einer Wirklichkeit aus der Zeit vor der Geschichte…", schreibt er und trifft damit den Kern der Sache, denn im Grunde hat sich in den Wünschen und Träumen, dem Hoffen und Bangen des Menschen in den tausenden Jahren seines Seins nichts geändert.
Leser, die generell Bücher des üblichen Mainstreams bevorzugen seien gewarnt, sie werden dieses Buch als Zeitvergeudung ansehen, was in ihrem Fall auch der Wahrheit entsprechen wird. Nootebooms Briefe sind ein Exkurs in die Welt der Ideologie, des unmöglich Möglichen, und zeigen letztendlich tiefsinnige Gedanken einer Weltanschauung.
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