Schaut euch um, schreibt es auf, spottet.
Nein, die kurze Form, die verschlankte Szene, der flüchtige Brennpunkt ist Tom Wolfes Sache nicht. Oftmals wegen seines Stils gerühmt, lässt sich der Journalist hinter dem Schriftsteller kaum verbergen, wenn es gilt, eine Szenerie plastisch zu beschreiben. Wo manche Autoren darunter leiden, dass ihre Realität zu hölzern daherkommt, taucht Wolfe die Gegenwart geradezu mit jedem neuen Schauplatz in eine weitere Erregung.
Wer kennt das nicht? Da will einer einem tatsächlich den Parkplatz streitig machen, den man schon seit Minuten sucht. Egal, ob der neue Herausgeber des Miami Herald eigentlich schuldlos ist, weil seine Frau hinterm Steuer sitzt, die hitzige Auseinandersetzung mit einer reichen Latina wird sogleich zum Synonym amerikanisch kubanischer Gegensätze. Nicht nur, dass Wolfe beschreibt, wie die Presse in der größten Demokratie der Welt eigentlich vor die Hunde geht, wenn sie sich einem wütenden kubanischen Shitstorm gegenüber sieht, klar ist, die Pressefreiheit endet immer da, wo die Anzeigenkunden einer Zeitung "not amused" sind. Wolfe ist hier der Anwalt des gesellschaftlichen Wandels, der Fakten in amüsante Momente überdreht, seine konservative Ader aber nicht zu leugnen vermag.
Hegt einer etwa noch Zweifel, wie die Welt sich verändern wird? Wie sie sich durch den Zuzug der Einwanderer nach Generationen als umgekehrter Rassismus ad absurdum stellt? Im Roman fühlt es sich wie eine Farce an, aber darunter lauert das, was es den Menschen so schwierig macht, miteinander auszukommen. "Back to Blood" heißt der Roman. Zurück zum Blut. Dahin, wo ich herstamme. Eine furchterregende Szenerie, die Wolfe da heraufbeschwört. Jeglicher Liberalismus wird darin ertränkt.
Nestor ist der muskelbepackte Polizist der Marine Patrol Unit, der eher unfreiwillig als Held von seinem, ihm sonst mit Missgunst begegnenden, rassistischen, weißen Chef gefeiert wird. Sogleich jedoch prangert ihn die kubanische Gemeinde als Verräter an, weil er einen Landsmann, der an einem Schiffsmast hing und auf Asyl hoffte, dem Gesetz ausgeliefert hat. All das, weil die Gesetzeslage so verworren ist, dass ein Flüchtling zu Land einen anderen Stellenwert hat als ein Flüchtling zu Wasser.
Latinos gegen weiße Amerikaner, weiße Amerikaner gegen Afroamerikaner, Schwarze gegen Kubaner. Back to Blood.
Wolfe führt uns vor Augen, wie der Rassismus nie aufhört. Wie er immer wieder neue Nahrung erhält. Wie er einfach die Fronten wechselt. Von Weiß nach Schwarz, von Halbweiß, nach Halbschwarz. Fühle dich irgendwo zugehörig und verteidige den Anspruch auf dein Stück vom Kuchen. Pech, wenn jemand wie Professor Lanier von der Hautfarbe eigentlich einer bestimmten Gruppe zugehörig wäre, sich aber innerlich als "Europäer" empfindet. Was ja schon wieder der Widerspruch in sich ist, wenn man die Auseinandersetzungen zwischen Italienern und Franzosen, Engländern und Italienern und Deutschen und dem Rest der Welt kennt. "Back to Blood". Selbst wenn wir dieselbe Hautfarbe haben.
Ist das polemisch? Sei’s drum. Es ist, wie es ist. Es ist Tom Wolfe. Und da kann es vorkommen, dass wir ja längst verstanden haben, was er uns sagen will, wir uns aber seitenlang weiter durch sein Statement quälen müssen. Auch wenn die Lautmalerei "Roar, arrrgh, Shit, frimp, ssslooosh" laut gelesen sicher einen besonderen Reiz darstellt. Wir uns an der vollständigen Aufzählung der Muskelpartien eines Körper erfreuen könnten. Es klingt alles so, als beschreibe da ein Schriftsteller eine Welt, wie sie halt bei Tom Wolfe auszusehen hat, statt dieser Welt und ihren Menschen die Chance einzuräumen, sich selbst zu beschreiben. Die Karikatur als Stilmittel hält nun mal nicht lange vor. In der ständigen Wiederholung langweilt sie selbst in der Perfektion.
Wolfe ist allzu verliebt, in seine Neigung zu lästern. Nicht nur jedes Detail wird ausgeleuchtet, die USA als Mikrokosmos von Fehlentwicklungen der globalen Welt vorgeführt, der Autor jagt gnadenlos jedem Gedankensplitter seiner Protagonisten hinterher.
Der Melting Pot USA saugt die Unterschiede schon lange nicht mehr auf. Was dazu führt, dass die Abgrenzungen wachsen. Irgendwohin muss man gehören. "Back to Blood", sagt Wolfe. Das ergibt mal wieder 768 Seiten. Literatur als Breitwandgemälde. Bei "Fegefeuer der Eitelkeiten", seinem Durchbruch, und bei "Ich bin Charlotte Simmons" waren es über neunhundert Seiten, bei "Ein ganzer Kerl" gar an die elfhundert Seiten. Dieser Schriftsteller braucht Platz.
Der 1931 in Richmond, Virginia, geborene Wolfe leidet nicht unter mangelnder Vorstellungskraft. Als Reporter der "The Washington Post", "New York Herald Tribune" und anderer Magazine, als Mitbegründer des "New Journalism" hat er sein Amerika als genauer Chronist zu beschreiben vermocht. Er hat sich eingemischt, ein Gefühl dafür entwickelt, wie wenig es bedarf, einen Menschen aus dem Gleichgewicht zu werfen. Beginnt das Kartenhaus erst einmal zu wackeln, dauert es nicht lange, bis es einstürzt. Es bedarf mitunter eines winzigen Dominosteins.
"Alle Menschen, überall, haben keine andere Wahl als - zurück zum Blut!"
Wenn wir diese Zeile lesen, tauchen sogleich die dunklen Schatten der deutschen Vergangenheit auf, die als besiegt deklariert werden und über die wir uns immer wieder wundern, dass sie noch atmen. Thomas Wolfes Roman "Back to Blood", egal wie weitschweifig und detailverliebt er auch sein mag, wie sehr der Autor seine Meinung den Figuren aufdrückt, erzählt von einem Rassismus, der nachwächst.
Ein schrecklicher Gedanke. Keine Farce.
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