Das Leben ist (k)ein Selbstbedienungsladen
Wie fühlt man sich als Außenseiter der Gesellschaft? Als junger Mensch ohne Job, ohne Kinder, ohne Perspektive ist man das ja irgendwie. Ruth Amsel ist jung, arbeitslos und nicht einmal unglücklich darüber. Denn sie hat das, was sich der Rest der Gesellschaft wünscht: viel Zeit für sich. Diese verbringt sie oft vor einer Klinik, wo sie herumlungert, die Kranken beobachtet und sich Aufzeichnungen macht. Oder in Möbelgeschäften, wo sie sich preiswert zum Kaffee verabredet. Oder sie geht doch einmal notgedrungen zur »Gesellschaft für W.«, wie sie sie nennt, die Gesellschaft für Wiedereingliederung, von der sie regelmäßig Stütze erzählt und der sie auf die Frage des Sachbearbeiters »Was machen Sie gern?» antwortet: »Todesanzeigen kann ich schreiben.« Denn das hat sie tatsächlich schon gemacht, hat in einer Redaktion gejobbt, die Todesanzeigen entgegennahm. Dort traf sie Raoul, mit dem sie bald zusammen zog und der nun in ihren vier Wänden eine IT-Firma betreibt, für die er zwar arbeitet, aber nichts verdient, so dass beide von Ruths Stütze leben. Denn, das weiß man schon nach ein paar Seiten, irgendwie bekommen beide nichts auf die Reihe. Aber Überraschung: Unglücklich geht anders.
Isabella Straub, die 1968 in Wien geboren wurde und nach einem Studium der Germanistik und Philosophie heute als Journalistin und Werbetexterin arbeitet, hat mit »Südbalkon« einen vorlauten und recht verqueren Roman geschrieben, bei dem man anfangs schmunzelt, bald jedoch nicht selten den Kopf schüttelt. Denn die abstrusen Einfälle von Ruth sind anfangs zwar witzig, bald jedoch fragt man sich, was da eigentlich in ihr vorgeht und was die Autorin uns damit sagen will. Ist ein solch unbeschwertes Leben das, was sich viele junge Menschen wünschen? Freizeit ohne Ende, dazu ein wenig Geld vom Staat und die Freiheit, den ganzen Tag tun und lassen zu können, was man will, während alle anderen malochen gehen.
Straubs Figuren sind humorvoll gezeichnet, recht kauzig und mit Ecken und Kanten, was sie auszeichnet, jedoch nicht unbedingt sympathisch macht. Neben Ruth gibt es Raoul, für den sie am liebsten »Das siebte Flittchen« mimt, um das Sexleben aufzuwerten. Oder ihre vorlaute Freundin Maja, die plötzlich als Existenzberaterin jobbt und der Ruth bald eine Affäre mit Raoul unterstellt. Dann noch die seltsame Konstellation in Ruths Elternhaus. Denn dort zieht plötzlich der Liebhaber ihrer Mutter in ihr Kinderzimmer, um die Übergangszeit ihrer Mutter von einem Mann zum anderen sozusagen zu erleichtern. Erst als Ruth den Krankenpfleger Pawel im Krankenhaus kennen lernt, scheint ihr Leben ein wenig an Stabilität zu bekommen. Und das Buch eine sympathische Erscheinung außerhalb dieses chaotischen Figurenensembles.
»Südbalkon« ist ein Potpourri an witzigen und sonderbaren Geschichten einer Außenseiterin, die völlig aus dem Raster junger erfolgreicher Frauen unserer Zeit fällt und die der Autorin am Herz liegt. Dennoch hinterlässt diese humorvolle Verniedlichung eines großen Problems unserer Zeit – geplanter Hartz-IV-Status junger Menschen, die keine Lust haben zu arbeiten – einen allzu bitteren Beigeschmack. Sehr schade ist, dass Ruth keine Entwicklung durchlebt, sondern ohne ein Ziel durch ihr Leben und durch das Buch stolpert. Ist ja ganz einfach, wenn andere die Geldtasche aufmachen. Das Leben - ein Selbstbedienungsladen, was will man mehr?
Straubs flapsige Sprache passt sich dem Buch an, die Dialoge sind nicht selten verquer, lustig oder einfach belanglos. Es ist ein recht kurzweiliger aber leider bedeutungsloser Roman, den man recht schnell vergisst, da er zwar eine divergente Lebenssituation aufzeigt, aber keine Lösung des aufgegriffenen Problems anbietet.
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