Der Himmel über Greene Harbor

Der Himmel über Greene Harbor
Der Himmel über Greene Harbor
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Wolfgang Franßen
801001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2013

Wenn sich Familien auflösen, geschieht dasselbe mit ihren Geschichten.

Im Grunde sind alle Eltern Idioten. Das behauptet zumindest Nick Dybek. Kannte John Gaunt seinen Sohn etwa nicht? War er mit elterlicher Blindheit geschlagen, den eigenen Nachwuchs zu sehr zu vergöttern? War er taub von Erfolgen, nur mit dem Ausbau des eigenen Denkmals beschäftigt? Musste er nicht mit dem rechnen, was nach seinem Tod geschah? Die Antwort ist einfach: Gaunt hat wohl nicht erwartet, dass er so schnell sterben würde.

Wir befinden uns auf Loyalty Island in Greene Harbor. Zwischen Schiffsmotoren und Netzen, der Kälte wie dem Meer ausgesetzt. In jenem Fischerparadies, das dank des Geschäftssinns eines John Gaunts allen Bewohnern ein Auskommen ermöglicht. Ihm gehört einfach alles, wie es sich für einen Patriarchen gehört. Die Fischlizenzen wie die Flotte, die Läden, in denen die Familien einkaufen, und das Land, auf dem seine Fischer ihre Häuser errichtet und mit Hypotheken belastet haben. Um John Gaunt spinnt sich jener Mythos des Gründervaters, den die Krabbenfischer in Greene Harbor von Generation zu Generation glorifizieren.

Im Mittelalter wäre er ein Lehnsherr gewesen, in modernen Zeiten ein Landesvater, der sich um seine Untergebenen kümmert. Dass das alles an einem goldenen Faden hängt, wenn Gaunts Sohn Richard das Erbe antritt, ist allen bewusst. Richard steht in der Hackordnung nicht sehr weit oben. Er wird nicht ernst genommen, was bei Vätern wie John Gaunt nicht selten vorkommt. Unter ihm Sohn zu sein, ist für das eigene Selbstbewusstsein nicht gerade förderlich. Was liegt da näher, als dass Richard Gaunt sich von einer Last befreien, es allen zeigen will.

Nick Dybek, der 32jährige Autor, ist in Michigan aufgewachsen und bedient sich in seinem Roman "Der Himmel über Greene Harbor" des vierzehnjährigen Cals, um von den Umwälzungen in der Fischindustrie zu erzählen. Mit den Augen des Heranwachsenden, der das allmähliche Zerbröckeln der Ehe seiner Eltern miterlebt, ist Cal Chronist der leisen Lügen. Der Vater lange Wochen nicht Zuhause, die Mutter auf Abwegen. Mitten in einer Welt der Selbstbeweihräucherung von Seeleuten als ganzen Kerlen und Frauen und Kindern an Land, die auf sie warten. Dybek zeichnet das sich vor ihnen ausbreitende Nichts von Menschen nach, die sich plötzlich um ihr Ein und Alles beraubt sehen.

Im Original heißt der Roman "When Captain Flint Was Still a Good Man." Frei übersetzt mit: Als alles noch in Ordnung war. Als die Fischfabriken noch nicht die Küsten leer fischten. Als die Fischer noch wussten, dass sie jeden Morgen raus aufs Meer fahren. Egal bei welchem Wetter.

Wer Islands Kampf um seine Fanggründe im letzten Jahrhundert kennt, um den eigenen Fischern überhaupt eine Chance zu bieten, vom Ertrag ihrer Arbeit existieren zu können, weiß wie erbittert die Auseinandersetzung mit den Fischfabriken auf hoher See geführt wurde. Das Verlagern von Hoheitszonen führte zu fast kriegerischen Zuständen.

Soweit ist es in Nick Dybeks Roman noch nicht. Mit dem jungen Cal belauschen wir die Gespräche in den Familien, die wissen, dass sie rechtlos sind, weil vor dem Gesetz John Gaunt, der große Wohltäter, sein Eigentum nie mit ihnen geteilt hat. Dass es seinem Alleinerbe Richard nun frei steht, die Lizenzen, die Flotte, einfach alles an die Asiaten zu verkaufen, zieht sich wie ein bitteres Fazit eines mitverkauften Lebens durch die Geschichte.

Lässt man sich das gefallen? Überlässt man sich der Ohnmacht? Oder wehrt man sich und sei es mit einem Verbrechen? Ist nicht erlaubt, angesichts der eigenen Vernichtung, Richard Gaunt von der Unterzeichnung des Vertrags abzuhalten und so Zeit zu gewinnen?

Cal und sein Freund Jamie werden im Verlauf des Romans eine schreckliche Entdeckung machen, sich plötzlich die Frage stellen müssen, auf welcher Seite sie eigentlich stehen, nachdem sie Richard, den alle für tot halten, eingesperrt in einem Keller finden. Das wird ihr Leben verändern.

Nick Dybek gelingt es, in den kleinen Geschichten am Rand, dem Hinterfragen der düsteren Geheimnisse, das Leben jener Menschen am Meer zu bebildern, deren Leben Tag für Tag davon abhängt, ob das Meer ihnen gnädig ist. Ob es nicht einen von ihnen draußen behält. Ob es den Fang so zulässt, dass die Menschen an Land ein Auskommen haben.

Doch mit dem Blick hinaus aufs Meer haben viele in Greene Harbor den Blick auf sich an Land verloren.

Der Himmel über Greene Harbor

Nick Dybek, mareverlag

Der Himmel über Greene Harbor

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