Wenn's ans Sterben geht
Wer um Thomas Bernhards zeitlebens fatales Ringen um seine Gesundheit weiß, wird in diesen Erinnerungen an seinen Aufenthalt im St. Johann Spital weniger den frühen Beweis von Bernhards Talent erkennen, als jenen Kern, warum dieser Schriftsteller schreiben musste. "Der Atem" bietet einen Einblick in die fatale Maschinerie einer Klinik, die Patienten Sterbezimmer zuordnet, wenn ihnen vom klinischen Standpunkt aus nicht mehr zu helfen ist. Ist einer dem Alltag erst einmal entzogen, darf sich jeder halbwegs Gesunde glücklich schätzen, wenn er als geheilt entlassen wird. Solange ist er dem Klinikpersonal ausgeliefert. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass im Verlauf der Geschichte beim Ich-Erzähler die Vermutung aufkeimt, dass ihn erst der Aufenthalt im Spital hat erkranken lassen. War es doch zu Anfang nur eine Verkühlung, die ihn dazu veranlasste, sich in die Obhut von Ärzten zu begeben.
Berühmt geworden ist Thomas Bernhard durch seine Romane und Theaterstücke, sein monologisierendes Hadern mit seiner Heimat. Das Verdikt, dass keines seiner Werke nach seinem Tode in Österreich auf der Bühne gezeigt werden dürfte. Er war ein Vielschreiber. 1931 in Heerlen geboren, starb er am 12. Februar 1989 in Gmunden. 1949 brachte ihn eine tuberkulöse, nasse Rippenfellentzündung in das St. Johann Spital, in dem auch sein Großvater, der Dichter Johannes Freumbichler, lag. Jener Mensch, dem er wie keinem zweiten nahestand, der ihn mit der Philosophie bekanntmachte und dessen Tod im selben Spital ihn allein in der Welt zurück ließ.
Bernhard durchlebt eine existentielle Erfahrung. Er wird als Totgeweihter eingestuft. Als jemand, der nicht mehr lange zu leben hat. Einziger Halt der Großvater, der auch in der Familie ihm stets zur Seite stand, während er sich von der Mutter aufgegeben fühlt. Thomas Bernhard hat seine Kindheitserinnerungen in fünf nahezu autobiographischen Texten heraufbeschworen: "Die Ursache", "Der Keller", "Der Atem", "Die Kälte" und zuletzt 1982 "Ein Kind". Sie alle erscheinen wie ein spätes, zweites Zugreifen. Eine Vergewisserung, dass das, was geschehen ist, wirklich passiert ist. Indem er diese Zeit heraufbeschwört, erzählt er gleichzeitig von dem Schriftsteller, der er geworden ist.
Ein Sprachvirtuose der genauen Beobachtung. Ein gnadenloser Spotter in der Verurteilung. Ein Komödiant angesichts menschlicher Tragik. Thomas Bernhard musste sich keine Masken auferlegen, um in die Abgründe seiner Figuren zu schauen. Er erachtete sie als etwas Eigenes. Wenn er zu monologisieren beginnt, legt er sich keine Grenzen auf. Er beschuldigt, er klagt an, gießt Bitternis wie Galle aus. Als Achtzehnjähriger, den Tod vor Augen, entwickelte er eine tiefe Zuneigung dazu, die Welt als Farce zu betrachten, in der Eitelkeiten die entscheidende Rolle spielen. Was soll einem, der dem Tode so nahe war, schon noch jemand anhaben können?
Trotzdem verschaffen ihm seine schriftstellerischen Arbeiten immer wieder jenen Raum, seiner Empörung Luft zu verschaffen, die gestaute Wut zu lösen. In "Der Atem" klagt er die Entmündigung der Kranken an. Jeder hat halt zu sterben, wenn er zum Sterben auserkoren wurde. Und überlebt einer trotzdem, verdankt er das nur sich selbst. Vor allem wenn der Vater unbekannt ist und man sich von der Mutter alleingelassen fühlt. Sie wird ein paar Monate, nachdem Bernhard aus dem Spital entlassen wurde, an Krebs sterben.
Wie der Autor davon erzählt, wie da einer trotz all der Schicksalsschläge und Widernisse in seinem Leben sich dazu aufrafft, weiterleben zu wollen, ist Literatur, die einen nicht gleichgültig lässt. Der Alltag ist nur insoweit wichtig, wie er sich philosophisch hinterfragen lässt. Getragen von der inneren Erregung, dass da etwas mit einem geschieht.
Gibt es etwas Einsameres als einen jungen Menschen in einer Art Todeszelle? Von Ärzten bewacht, die seine Atemzüge zählen? Lebt er noch oder ist er schon tot? Thomas Bernhard schafft es in "Der Atem", Mut zum Weiterleben zu machen. In verschachtelten Sätzen stemmt er sich gegen das Unausweichliche.
Er wütet gegen ein Leben als Demütigung an. Glücklich diejenigen, die einen Großvater haben, der ihnen einen Ausweg daraus weist.
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