Öl!

  • Manesse
  • Erschienen: Januar 2013
  • 1
  • : Manesse, 2013, Titel: 'Öl!', Seiten: 768, Übersetzt: Andrea Ott
Öl!
Öl!
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Wolfgang Franßen
961001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2013

Genug ist genug!

Manesse hat es gewagt: Upton Sinclair "Öl"! Einer jener großen amerikanischen Romane, die immer wieder in Vergessenheit zu geraten drohen, weil sie nicht über die Lobby eines schillernden F. Scott Fitzgerald, eines abenteuersüchtigen Ernest Hemingway, eines brachialen John Steinbecks verfügen. Upton Sinclair wollte politisch radikal sein, sich einmischen. Seine Romane sollten bereits zum Zeitpunkt ihres Erscheinens Dreck am Stecken haben. Sinclair stammte aus armen Verhältnissen, was ihn zum Sozialisten machte, der in seiner Jugend Jesus und Percy B. Shelley als Vorbilder nannte. 

Schlagen wir bei Wikipedia unter dem Stichwort "Amerikanische Literatur" nach, so wird Upton Bell Sinclair dort nicht erwähnt. Sherwood Anderson, auch Thomas Wolfe und natürlich Faulkner und Gertrude Stein, aber Upton Sinclair? Jener 1878 in Baltimore geborene und 1968 in Bound Brook verstorbene Schriftsteller, der mit "The Jungle" und seiner schonungslos realistischen Abrechnung der fleischverarbeitenden Industrie in Chicago berühmt wurde, suchen wir vergebens. Mit jenem Buch, das selbst Winston Churchill gelobt haben soll und Theodore Roosevelt zu einer Gesetzvorlage veranlasst hat. 

Sinclair war ein "Muckraker", ein Nestbeschmutzer, ein, wie sich Tom Wolfe gerne bezeichnet: Enthüllungsautor, der nicht davor zurückschreckte, sich um politische Posten zu bewerben. Selbst Lenin nannte ihn einen "Gefühlssozialisten". In Europa beliebter als in den USA. Einer, der sich mitunter gezwungen sah, sein schriftstellerisches Werk selbst zu verlegen, und der 1943 für "Dragon’s Teeth" den Pulitzer Preis bekam.

"Öl" soll als Romanvorlage für "There will be Blood" gedient haben. Mit einem Oscar ausgestattet wegen der Genieleistung eines Daniel Day-Lewis. Mögen die Methoden, wie es heutzutage gefördert werden soll, inzwischen beim Fracking angekommen sein, so hat sich an der Bedeutung, die der Rohstoff für die Weltwirtschaft besitzt nichts geändert. Öl regiert die Welt. Nicht nur beim Verkehr. Selbst bei kleinsten Fasern. Vor hundert Jahren erschien das Schwarze Gold unerschöpflich zu sein, stand die Gewinnung gerade am Anfang eines beispiellosen Profitstrebens, dem sich heutzutage anonyme Konzerne hingeben. 

Im Jahr 1912 entdeckt Sinclairs Familie Ross in Südkalifornien ein Ölfeld. Es bedarf der Durchsetzungskraft eines J. Arnold Ross, um sich zum Ölmagnaten emporzuschwingen. Dass einem solchen Unternehmen alles andere unterzuordnen ist, lernt sein Sohn Bunny schnell. Obwohl er sich durch die Freundschaft zu einem älteren Landarbeiterjungen allmählich der Obhut seines Vaters entzieht. Im Roman wächst er zum Chronisten der Entstehung der Gewerkschaften heran, wird er trotz seiner Bewunderung für den Vater nie in dessen Schuhe schlüpfen. Egal ob beim Studium, unter den einfachen Leuten, in Hollywoods Glamourwelt, er wird nie irgendwo anzukommen.

Es ist die Gründergeneration, von der Upton Sinclairs Roman erzählt. Als die Wirtschaft sichtbar war. In Maschinenfabriken, in Öl, das aus der Erde schoss, in Bergwerken, in denen Bergleute starben oder verschüttet festsaßen. Es ist noch nicht die Dienstleistungsgesellschaft unserer Zeit, die Dotcomcommunity und der unsichtbare globale Handel von einer Börse zur anderen.

Die krasse Aufspaltung in Arm und Reich verschärft den wirtschaftlichen Aufschwung jener Zeit. Der typische amerikanische Traum vom Tellerwäscher zum Millionär führt nicht selten dazu, dass sich einer im Elendsquartier wiederfindet. Ausgebeutet. Seine Arbeitskraft auf einen Minimallohn heruntergeschraubt.

Indem Upton Sinclair schonungslos seinen Bunny beide Welten begegnen lässt, kritisiert er die nackten Tatsachen eines um sich greifenden Manchesterkapitalismus, bei dem viel Raum für die damals obsiegende Ideologie des Sozialismus bleibt. Angereichert durch die Ungerechtigkeit, die Upton Sinclair nicht nur in "Öl!" anklagt. Auch wenn der Roman vor nahezu hundert Jahren erschienen ist, zeichnet er noch immer jene Grundzüge des Kapitalismus nach, der nur in einem besteht: Gier.

Inzwischen haben sich die Ideologien aufgerieben. Der Markt und seine hochgelobten Gesetze hat alles andere ausgestochen. Der Sozialismus hat seine hässliche Fratze gezeigt und sich als moralische Stütze entwaffnet. Das Schwarze Gold mag versiegen, das Gold der Spekulation jedoch nie. Upton Sinclair ist mit diesem grandiosen Roman nicht nur ein Zeitzeugnis gelungen. Er begleitet seine Leser durch die Jahrhunderte und ruft in ihm blankes Entsetzen auf, wenn er Parallelen in seiner Welt findet.

Große Romane stellen nicht politische Phrasen in den Mittelpunkt. Sie erzählen von Familien, von gescheiterten Hoffnungen. Sie zeichnen in ihren Figuren den Hass, die Ausbeutung, die Ohnmacht nach. "Öl!" von Upton Sinclair ist ein großer Roman.

Er ruft dazu auf, sich zu wehren.

Öl!

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