Die Nonne

  • tredition
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
  • Hamburg: tredition, 2012, Titel: 'Die Nonne', Seiten: 148, Übersetzt: Wilhelm Thal
Die Nonne
Die Nonne
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Sebastian Riemann
801001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2013

Die Unnatürlichkeit der Institution Kloster

Abgeschieden vom Rest der Gesellschaft leben die Nonnen, verschreiben sich den Werten der Kirche und führen ein tugendhaftes Dasein, gottgefällig und als vorbildlicher Gegensatz zum sündhaften Treiben außerhalb der festen Mauern. Unter ihnen eine junge Frau, von der Familie verstoßen und zum Klosterleben gedrängt, an christlicher Reinheit kaum zu übertreffen, jedoch mit einer unüberwindlichen Abneigung gegen das Leben als Nonne. Suzanne Simonin ist die Protagonistin, ist "Die Nonne" im Roman Diderots, der Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich erschien und sich einer außergewöhnlichen Form des Zusammenlebens widmete. Diderots Suzanne ist gefangen zwischen steinernen Mauern, Nonnen, der Macht der Kirche und kann nicht anders als beständig Wege zu ersinnen, ihre Freiheit zu erlangen. Eine tragische Figur, die auch den Leser des 21. Jahrhunderts anspricht und bewegt.

Denis Diderot war einer der wichtigsten Aufklärer Frankreichs, einflussreicher Schriftsteller und Mitherausgeber der legendären Encyclopédie, dem ersten großen Projekt mit dem Ziel der allgemeinen Wissensverbreitung. Er kämpfte an vorderster Front für Ideale, die uns heute selbstverständlich erscheinen und auf denen wir unser Weltbild aufbauen. Die Bekämpfung der Kirche war ihm, wie auch den meisten seiner Mitstreiter, ein zentrales Anliegen. Mit seiner Darstellung der Leiden der jungen Suzanne Simonin führt er dem Leser die Unnatürlichkeit der Insitution Kloster vor Augen. Die mannigfaltige Pein der Protagonistin lässt den Leser erschaudern und immer stärkere Sympathien für ihren Freiheitsdrang entstehen. Man verachtet die Mauern, die sie einschließen, ihr das Leben zu nehmen drohen.

Suzanne wird beständig von ihrer Familie verstoßen und in die Arme der Kirche verwiesen, ohne dass sie sich einer Schuld bewusst ist. Sie ist die Frucht einer außerehelichen Liebschaft und darf deshalb nicht vollständiges Mitglied der Familie sein, zu sehr bedrängen die Mutter Schuldgefühle in ihrer Gegenwart, zu verheerend wären die Folgen, sollte man dem Vater die Verfehlung der Mutter eröffnen. Aus Verzweiflung und Mitleid willigt Suzanne ein, sich dem Stand der Nonne zu widmen, sich in das vorgegebene Schicksal zu ergeben. Allein ihre Abneigung gegen die auferlegte Lebensart kann sie nicht ablegen.

Nach der Einführung in den Orden wandelt Suzanne toll durch das Kloster, ihrem neuen Heim für die Ewigkeit, dem Kerker ihrer Wünsche. Wieder zu Verstand gekommen, sucht sie aus dem Gemeinschaftsleben auszuscheiden, ruft die Gerichte an, um eine Aufhebung ihrer Versprechungen gegen die Kirche zu bewirken. Die abgeschlossene Einrichtung mit eigener Hierarchie und dem Zwang zu Gehorsam entfaltet nun seine ganze Macht. Um einen Skandal zu vermeiden, versucht die Oberin unter Mitwirkung der anderen Nonnen, Suzanne zur Aufgabe zu bewegen. Körperliche und seelische Qualen muss sie ertragen, während das Unvermeidliche geschieht: Die juristischen Bemühungen bleiben erfolglos, es gibt keinen rechten Ausweg.

Neben dem aufklärerischen Eifer spielten bei Diderot auch persönliche Motive eine gewichtige Rolle; seine Beziehung zum Klosterleben war düster. Als er den Vater um Erlaubnis für seine Hochzeit bat, ließ jener ihn in ein Karmeliterkloster einweisen. Eine Erziehungsmaßnahme, die ihr Ziel verfehlte, aber Grundlage wurde für sein Engagement gegen die Kirche. Später ging eine Schwester des Dichters aus freien Stücken in eine ähnliche Einrichtung und wurde geistig krank.

Im weiteren Verlauf des Romans wird der Nonne Suzanne überraschend die Möglichkeit verschafft, in ein anderes Kloster überzusiedeln, der andauernden Pein zu entfliehen. Die Oberin des neuen Klosters liebt sie sehr und überhäuft sie mit Zärtlichkeiten, die jedoch schnell das Erlaubte überschreiten. Als die Erotik zwischen den beiden Frauen ein Ende findet, verliert die liebestolle Oberin ihren Verstand und das Leben im Kloster wird unberechenbar. Neuen Trost findet Suzanne nun wiederum in einem jungen Beichtvater, der gleichsam zu seinem Stand gedrängt wurde. Mit ihm flieht die unglückliche Nonne und sucht nach dem Leben in der freien Welt.

Diderots lebendige Darstellungen von Unterdrückung, Zuneigung, Schmerz und Lust weisen ihn als zielsicheren Schriftsteller aus, der konkrete Vorstellungen von der Wirkung seiner Werke hatte. Das Leben der Nonne soll nicht überzeugen, sondern überwältigen, den Leser innerlich aufhetzen. Zu diesem Zwecke entzieht Diderot der Institution Kloster die Existenzberechtigung in jeglicher Hinsicht und lässt dessen abgeschiedene Insassen zu bizarren Gestalten werden, die durch das Kloster das Menschliche aufgegeben haben. Die Menschen aber wurden von Gott zum freien Miteinander bestimmt. Alles was dem zuwider strebt hat somit keinen Platz in der Gesellschaft, ja nicht einmal innerhalb der Kirche.

Der Roman, auf seine verheerend abgründige Art, war und ist ein Plädoyer für individuelle Freiheit und Selbstbestimmung, und vermag auch heute noch aufwühlend zu wirken, weil der Leser Suzanne und ihr unermüdliches Bemühen bewundern, ihr stetes Streben nach persönlichem Glück glorifizieren kann. Auch die späten Ängste Suzannes, die vom Leben außerhalb der Klostermauern überwältigt scheint, ändern daran nichts. Der Kampf gegen den Zwang ist zeitlos, aber selten so lebendig beschrieben wie durch das Leiden der unglücklichen Nonne, und deshalb bleibt das Material aktuell, lange nachdem der eiserne Griff der Kirche auf die Gesellschaft nachgelassen hat.

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