Das Leben als Quizshow
Ist es möglich, dass ein einfacher Junge aus den indischen Slums allein durch Zufall und Glück in der Lage sein kann, alle Fragen einer Quizshow bis zum Hauptgewinn richtig zu beantworten? Für die Macher der indischen Ausgabe von "Wer wird Millionär" steht fest: Das kann nicht mit rechten Dingen zu gehen. Und vor allem: Es darf nicht sein, denn das Preisgeld von 20.000 Rupien möchte der Sender auch lieber behalten und nicht an einen ungebildeten Waisenjungen verlieren, der unter normalen Umständen niemals in der Lage sein dürfte, die Fragen richtig zu beantworten.
Ram Mohammed Thomas wurde verhaftet. Und das, weil er zwölf Fragen in der Quizshow "Wer wird Millionär?" richtig beantwortet hat, denn es ist unvorstellbar, dass ein junger Mann ohne Schulbildung wissen kann, wie etwa die Hauptstadt von Papua Neu-Guinea heißt, wer den Revolver erfunden hat oder welchen Gott der blinde Dichter Surdas verehrt hat.
Es kann also gar nicht anders sein, er muss ein Betrüger sein und somit muss ihm das Geld auch nicht ausgezahlt werden. Doch Thomas hat Glück, eine junge Anwältin erfährt von seiner Festnahme und will ihm helfen, sich gegen die Ungerechtigkeit zu wehren und somit beginnt der junge Inder, ihr seine Lebensgeschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die zu jeder Frage eine Erklärung liefert.
Rupien! Rupien! ist der erste Roman des Inders Vikas Swarup. Der 1963 im Norden Indiens geborene Diplomat und Schriftsteller, der seit 1986 im indischen Außenministerium arbeitet und 2009 zum Generalkonsul im japanischen Osaka-Kobe ernannt wurde. Nach seiner Veröffentlichung 2005 wurde das Buch in über 30 Sprachen übersetzt. Die Verfilmung 2008 unter dem Titel Slumdog Millionär und der Gewinn von acht Oscars machte die Story weltweit bekannt.
Vikas Swarup, der nach eigenen Angaben durch den Besuch einer Lernstation eines Bildungsprojektes inspiriert wurde, beschreibt in seinem Buch das Leben eines indischen Waisenjungen, dessen Schicksal stellvertretend für das vieler anderer Kinder in den indischen Slums stehen kann. Ohne familiären Rückhalt und die Sicherheit eines Elternhauses - muss sich Ram alleine Durchschlagen. Von einem christlichen Pfarrer aufgenommen, erlebt er zunächst Geborgenheit, die jedoch jäh durch den Mord an seinem Ziehvater beendet wird und für Ram beginnt ein Leben auf Wanderschaft. Er kommt bei einer organisierten Bettelbande unter, arbeitet als Hausangestellter, Kellner und Führer im Taj Mahal und begegnet dadurch seiner großen Liebe, als ihn Kunden ins Bordell einladen. Als roter Faden dient dem Autor dabei die Quizsendung, die die Rahmenhandlung des Buches darstellt. Jedes Kapitel beginnt mit einer Episode aus Rams Leben und endet mit der jeweiligen Quizfrage, die Ram Mohammed Thomas dank seines turbulenten Lebens beantworten kann. Mit jedem weiteren Kapitel steigt die Gewinnstufe, bis schließlich die zwölfte und letzte Frage gestellt wird und mit der Rahmenhandlung und Binnenhandlung miteinander verschmelzen. Durch den Wechsel der beiden Handlungen baut sich im Roman eine Spannung auf, die die ganze Geschichte über aufrechterhalten wird. Sprachlich ist die Geschichte gut verständlich, die vielen indische Begriffe werden am Ende des Romans erläutert und geben dem Werk eine gewisse Authentizität.
Swarups Geschichte nimmt einen mit in das Indien der Unterschicht. Ungeschönt geht er auf Missstände ein, thematisiert die große Schere zwischen Armut und Reichtum, die unsichere Rechtslage, das Zusammenleben der verschiedenen Religionen und die weit verbreitete Kriminalität. Auch die schillernden Seiten Indiens kommen nicht zu kurz, durch den Freund von Ram, der ihn viele Jahre lang durch sein Leben begleitet und unbedingt Schauspieler werden will, ist Bollywood immer wieder Thema. Durch seine Arbeit kommt Ram immer wieder auch in Kontakt mit dem Leben der Reichen. Leben im Überfluss mit Bediensteten, keine Sorgen ums Geld und die Rechtssicherheit immer auf ihrer Seite. Sie machen sich keine Gedanken um das große Gefälle in der Bevölkerung, genießen ihre Privilegien und kosten ihre Vorteile voll aus. Es wird deutlich, dass die Chance aufzusteigen und aus den Slums zu entkommen, so gut wie unmöglich ist.
Rupien! Rupien! ist ein lesenswerter und interessanter Roman, der Einblicke in eine fremde Welt gibt. An vielen Stellen drastisch, teils auch brutal erzählt Swarup fesselnd, wie hart das Leben für einen Waisenjungen in Indien sein kann und beschreibt detailreich, wie sich Ram durchschlägt und von einer Unsicherheit in die nächste gerät. Geleitet durch seine unerschütterliche Hoffnung, eines Tages auf der Seite der Gewinner zu stehen, zeigt das Buch gleichzeitig, dass es sich lohnt, immer weiterzugehen - auch wenn es noch so unwahrscheinlich wirken mag.
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