Zwischen Mundart und Feenwelt
So leise wie sie gelebt hat, ist sie jetzt auch von dieser Welt gegangen: Sarah Kirsch. Sie war selten laut, kein Typ Marktschreier, wie der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt in seinem Nachruf formuliert.
Dabei hatte Sarah Kirsch immer etwas zu sagen, leise mag sie gewesen sein, aber nie unsichtbar oder gar unbeteiligt. Ihre Gedichte schrien zuweilen die ganze Wut hinaus. Ihre Lyrik machte sie populär, obwohl sich ihre Texte selten reimten oder sich einfach "nur so" lesen ließen. Kirschs Texte haben eine Botschaft und sie wählte für sie eine Sprache, die nicht immer gefiel. Mal fein und sanft mal laut und der Gosse entlehnt – aber nie unerträglich. Am 5. Mai 2013 ist Sarah Kirsch im Alter von 78 Jahren gestorben.
Seit den 1960er Jahren ist Sarah Kirsch, die 1935 in Limlingerode im Südharz geboren wurde, von der Lyrik-Bühne nicht mehr wegzudenken. Kritiker Marcel Reich-Ranicki pries Kirsch gar als der "Droste jüngere Schwester". Sie selbst wäre gerne eine gewesen, dichtete sich die großen Schwestern selber an. Nicht überheblich, nein, immer mit einem Funken Ironie. Mit zahlreichen Preisen ist sie bedacht worden. Unter anderem mit dem Georg-Büchner-Preis, Friedrich-Hölderlin-Preis und dem Österreichischen Staatspreis.
Der Tod eines Menschen lässt die Lebenden immer sprachlos zurück. Das hätte Sarah Kirsch nicht gewollt. Immerhin war Sprache ihr Leben. 2005 erschienen ihr Band Sämtliche Gedichte in der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA). Mit Hilfe dieses umfassenden Werkes soll noch einmal auf das Schaffen der deutschen Lyrikern hingewiesen werden.
Sarah Kirschs Leben war Rebellion. Schon mit der Änderung ihres Vornamens in Sarah – geboren wurde sie als Ingrid Bernstein – lehnte sie sich gegen die antisemitische Haltung innerhalb ihrer Familie auf. Kirschs Kampf galt der Gerechtigkeit. So war sie es auch, die - damals noch in der DDR lebend - sich als eine der Ersten gegen die Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermanns auflehnte. Erst ging Biermann, dann wurde sie des Landes verwiesen und ging in den Westen Berlins.
Kirschs sperriger Sprachgebrauch wurde ihr Markenzeichen. Herb kamen ihre Sätze daher, von Mundart gefärbt, gemischt mit veraltetem Vokabular und antiquierten Schreibweisen. Und genau das macht ihre Gedichte aus, die sich zudem noch nicht einmal reimen. Phrasen beginnen, laufen ins Leere, beginnen von neuem – ohne scheinbar etwas zu sagen. Erst bei der zweiten, dritten Draufsicht zeigt sich ein Bild, eines, welches die studierte Biologin oft in einen Rahmen der Natur setzte. Natur ist es, die immer wieder den Weg in ihr Schriftwerk findet. Kirschs Texte sind eine Mischung aus Naivität gepaart mit märchenhaften Eindrücken, politischen Elementen, Einschüben aus der Natur sowieso. Oft kommen ihre Gedanken doppeldeutig daher. Beziehen sich etwa auf Liebe und gleichermaßen auf die Politik, die ihr immer ein Dorn im Auge zu sein schien. Besonders die der ehemaligen DDR, der sie bis zu ihrem Tode nichts mehr hinzu zu fügen hatte.
Sarah Kirsch macht die Bespitzelung zum Thema. Teilt mit, was sie in ihren Künstlerkreisen selbst erlebt hat. Und bleibt sich bis zum Ende treu: So lehnte sie 1992 beispielsweise die ihr angetragene Wahl in die Berliner Akademie der Künste ab. Die Akademie sei, so Kirsch, eine "Schlupfbude" für ehemalige Staatsdichter und Stasi-Zuträger.
Sämtliche Gedichte ist ein schönes großzügiges Werk, wenngleich auf Sarah Kirschs eigenen Wunsch 29 frühe Gedichte keinen Eingang in das umfassende Werk finden sollten. Die Gedichte stammen zumeist aus dem Band Gespräche mit den Sauriern. Auf über 550 Seiten hat der Verlag aufgenommen, was Sarah Kirsch ausmacht: Ihre unglaubliche Kreativität und ein schier endloser Fluss von Gedanken, Ideen und Fantasien. Das Sarah Kirsch auch Malerin war, belegt das Cover. Den Einband des Buches ziert ein farbenfrohes Aquarell von Sarah Kirsch.
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