Das hündische Herz
- Luchterhand
- Erschienen: Januar 1968
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- Berlin: Galiani, 2013, Seiten: 176, Übersetzt: Alexander Nitzberg, Bemerkung: Erstmals auf der Basis des Typoskripts letzter Hand aus dem Russ. übertr., kommentiert und mit einem Nachw. vers. von Alexander Nitzberg
- Neuwied; Berlin: Luchterhand, 1968, Titel: 'Hundeherz', Seiten: 158, Übersetzt: Gisela Drohla
- : [unbekannt], 1925, Titel: 'Sobačʹe serdce (Собачье сердце)', Originalsprache
Die Geister die ich rief
Verfilmt wäre es Horror. Eine Werwolf-Adaptation, ein bisschen von Mary Shellys Frankenstein und Stevensons Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Michail Bulgakows Das hündische Herz ist ein Werk, das den Atem nimmt. Zu Recht steht unter der Überschrift der Hinweis vermerkt: Eine fürchterliche Geschichte. Und das ist sie – fürwahr. Dabei fängt sie an wie eines dieser niedlichen Bücher, in denen Hunde oder Katzen als Protagonisten fungieren, die Welt erklären und genau wissen, was dem Herzen fehlt. Meist schon abgebildet auf dem Cover mit einem dieser niedlich-treuen Blicke von unten nach oben. Bei Bulgakow allerdings handelt es sich um einen gequälten und verachteten Straßenköter, der ums Überleben kämpft, von einem reichen Professor eingesammelt wird, um verjüngt zu werden.
Die Geschichte ist haarsträubend. Lumpi, so heißt der Hund in der großartigen deutschen Übersetzung von Alexander Nitzberg, hat in seinem Leben noch nichts geschenkt bekommen. Bis schließlich Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski auftaucht, ihn mit "Krakauer spezial" ködert und mit nach Hause nimmt. Kaum hat der Streuner an Gewicht zugelegt, ist von seinen Straßen-Strapazen genesen, widerfährt ihm eine schreckliche Geschichte.
Der Professor setzt gemeinsam mit seinem Assistenten Dr. Bormenthal dem Hund Lumpi die Hoden und Hypophyse eines Kleinkriminellen ein, der bei einer Messerstechei ums Leben gekommen ist. Die vermeintlichen Fachleute versuchen mit Hilfe dieser Transplantationen Lumpi ein paar Lebensjahre zu schenken – sprich ihn zu verjüngen. Assistent Bormenthal beginnt, das Leben Lumpis zu dokumentieren. Tag für Tag. Doch mit dem Hund geschieht etwas, was keiner vorab erwartet hat: Er wird zunehmend menschlicher. Er richtet sich auf, spricht, kopiert die Eigenschaften seiner Macher. Er schleicht sich aus der Wohnung des Professors, beschafft sich Papiere, heißt fortan Polygraph Polygraphowitsch Lumpikow und übernimmt ein Amt als "Vorsitzender der Unterabteilung für die Bereinigung der Stadt Moskau von wild streunenden Katzen".
Des Professors Leben in der eigenen Wohnung wird zur Hölle. Ähnlich wie in Goethes Ballade vom "Zauberlehrling" ("Die ich rief, die Geister, / Werd’ ich nun nicht los."), ergeht es dem landesweit berühmten Forscher. Lumpikow provoziert wo er nur kann und setzt schließlich - bei der Jagd nach einer Katze - die Wohnung unter Wasser. Filipp Filippowitsch Preobraschenski hat keine andere Wahl. Aus Lumpikow wird wieder Lumpi, er wird zurück operiert und vergisst mit der Zeit was geschah. Am Ende hängt er mehr im Sessel als das er sitzt und spricht in Fragmenten.
Bulgakow hat seine Arbeiten zum Das hündische Herz bereits 1925 abgeschlossen, doch was immer er auch am Manuskript zu ändern bereit war, von Seiten der Regierung oblag dem Buch ein Veröffentlichungsverbot. "Eine ätzende Attacke auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse; kommt auf keinen Fall für eine Veröffentlichung in Betracht...", schreibt Leo Kamenew, Mitglied des Zentralkomitees der KpdSU. So erscheint das Buch erstmals auf Russisch im Jahre 1968 in Frankfurt am Main in der Zeitschrift Grani des antisowjetischen Exilverlags Possew.
Das hündische Herz ist und bleibt ein undurchsichtiges Politikum. Der Autor selbst hat zig mal sein Skript geändert, Passagen gestrichen, wieder hinzu gefügt. Schwer zu sagen, ob die Neuausgabe, die Alexander Nitzberg übersetzt hat, dem Original wirklich am nächsten kommt. Darüber ließe sich streiten – ist aber eigentlich nicht notwendig. Bulgakows Idee hinter der Geschichte, seine Forschungsarbeit zum Thema der Verjüngung am Exempel eines streunenden Hundes zu wagen, der schließlich einem kleinwüchsigen Menschen mit Flaumhaar auf dem Kopf ähnelt, sind Grusel genug. Aber feiner Grusel – sofern es das gibt. Da sind diese zahlreichen kurzen Szenen, in denen Leben einfach wegoperiert wird, so, als wäre ein Exorzist am Werk, oder ein Mitglied des Ku-Klux-Klanes mit spitzen weißen Hauben auf dem Kopf.
Neben den blutigen Passagen mangelt es auch nicht an ironischen. Dann etwa, als ein "Kunde" des Professors bittet, ihm doch auch die Haare zu verjüngen. Einer Frau – wohl über 50 – werden die Eierstöcke eines Affen eingepflanzt. Auch die Frage nach, "sind sie ein Mann oder eine Frau?", wird gestellt. "Wo ist da bittschön der Unterschied, Genosse?", lautet die Gegenfrage. Nichts ist mehr "normal", Geschlechter vermischen sich, Alter wird ausgelöscht und es dreht sich um die immer gleiche Sorge der Menschheit: Wie werde ich unsterblich und bleibe unendlich schön?
Das hündische Herz ist ein "großartiges Beispielstück für die Experimentalisierung des Lebens, die sich die Avangarde der frühe Sowjetunion auf die Fahnen geschrieben hatte, und ihre Auswüchse", schreibt die Schriftstellerin Kathrin Schmidt in der Wochenzeitung "Die Zeit". Dem ist nichts hinzuzufügen.
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