Die geheimen Talente des Piet Barol

  • München: C. Bertelsmann, 2013, Seiten: 320, Übersetzt: Rainer Schmidt
  • London: Weidenfeld & Nicolson, 2011, Titel: 'History of a pleasure seeker', Originalsprache
Die geheimen Talente des Piet Barol
Die geheimen Talente des Piet Barol
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Birgit Stöckel
721001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2013

Von einem der auszog, sein Glück zu machen.

"Vom Tellerwäscher zum Millionär" – ein Traum, den schon viele Leute träumten und auch immer noch träumen. Besonders Amerika, in dem das Streben nach Glück ("Pursuit of happiness") sogar in der Verfassung verankert ist, galt (und gilt zum Teil auch heute noch) als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem solche "Karrieren" verlockend einfach erscheinen. Auch Piet Barol strebt so einen Lebensweg an und möchte in Amerika sein Glück machen. Allerdings hat er nicht vor, sich in jenem Land vom Tellerwäscher hochzuarbeiten – nein, er möchte möglichst mit einem ansehnlichen Startkapitel dort nach seinem Glück streben. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn man als Sohn eines Universitätsschreibers aus einfachen Verhältnissen stammt und keine großen Sprünge machen kann. Um diesen Umstand zu beheben, macht sich Piet Barol mit einer nicht ganz aufrichtigen Empfehlung eines Professors bewaffnet auf den Weg nach Amsterdam, um sich bei der Familie Vermeulen-Sickerts als Hauslehrer zu bewerben.

Dank seines Charmes und seiner Kühnheit gelingt es ihm auch, die Stelle zu bekommen und das sogar zu ausgesprochen guten Konditionen. Fortan ist er für den Sohn der Familie zuständig, der sich weigert, das Haus zu verlassen und sich auch sonst sehr merkwürdig benimmt. Er soll ihn nicht nur in diversen Fächern unterrichten, sondern ihn auch "heilen". Doch auch der Rest der Familie ist sehr schnell angetan von dem jungen Mann, seinem Charme, seinem Witz und seinem musikalischen Talent. Allerdings hat er auch noch andere, nicht unbedingt gesellschaftsfähige, Talente, von denen die Dame des Hauses, Jacobina Vermeulen-Sickerts, profitiert, die sich von ihrem Mann vor allem sexuell vernachlässigt fühlt.

Richard Mason erschafft in seinem Roman Die geheimen Talente des Piet Barol eine ganze Schar an interessanten und liebenswerten Charakteren. Allen voran ist da der titelgebende Protagonist: Charmant, gutaussehend, durchaus gebildet, musikalisch begabt und zielstrebig. Hört sich schon fast langweilig an, wenn er nicht auch ein Hochstapler wäre, jemand, der sich viel weltgewandter gibt, als er eigentlich ist und nur durch Kühnheit und manchmal auch einfach nur durch Glück nicht auffliegt. Das macht ihn so sympathisch und auch für den Leser unwiderstehlich, denn er macht sich über seine Motivation und seine eigentlichen Fähigkeiten keinerlei Illusionen.

Amüsiert verfolgt man seinen Weg, seine Bemühungen "es zu etwas zu bringen" und seine gelegentlichen Höhenflügen. Doch mit der Zeit wird es auch etwas langweilig. Egal, in welche Situation er sich hinein manövriert, er findet mühelos einen Weg wieder hinaus oder es taucht ein Retter auf, der ihn – öfters auch unverdienterweise – aus der Klemme befreit, in der er steckt. Somit gibt es für ihn keine ernsthaften Schwierigkeiten, nichts, was ihn auf Dauer aufhält. Das reduziert die Spannung und lässt das Interesse des Lesers erlahmen.

Die Nebencharaktere sind allesamt sehr gut ausgearbeitet. Egal ob die Mitglieder der Familie Vermeulen-Sickerts – allen voran der mit autistischen Zügen versehene Sohn Egbert – oder die Dienerschaft, wie die Haushältern Naomi de Leeuw, die Zofe Agneta Hemels oder der Hausdiener Didier Loubat, der zum Freund Piets wird – sie alle haben ihre Ecken und Kanten und bereichern durch ihr Zusammenspiel untereinander und mit Piet die Geschichte.

Zusätzlich erhält man Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die Unterschiede zwischen den Herrschaften und ihren Angestellten sind enorm. Sicherheiten hatte man als Angestellter nicht, ein kleiner Fehltritt, wie etwa das Stibitzen von zwei Stück Apfelkuchen, führte zur fristlosen Kündigung. Erinnert ein wenig an die heutige Zeit, in dem man seinen Job wegen eines Pfandbons im Cent-Bereich verlieren kann.

Besonders deutlich wird dies, als die finanzielle Situation der Vermeulen-Sickerts sich verschlechtert und der Konkurs droht. Allzu üppig sind die Alternativen für die Dienerschaft nicht, besonders nicht für die Älteren unter ihnen. So kann man auch Agneta nicht verdenken, dass sie der Versuchung nicht widerstehen kann, ihr altes Leben hinter sich zu lassen, wenn auch nicht mit legalen Mitteln.

Ein immer wiederkehrendes Thema in diesem Roman ist der Sex – sowohl heterosexuell als auch homosexuell. Dabei nimmt Mason kein Blatt vor den Mund: Ausdrücke wie "Schwanz" oder "Fotze" werden häufig benutzt, ebenso werden unglaubliche Erektionen und wahnsinnig ergiebige Ejakulationen beschrieben. Auch diverse sexuelle Handlungen finden detailreiche Erwähnung. Wer in dieser Hinsicht zart besaitet ist oder generell dieses Thema in Büchern nicht gerne breit getreten sieht, sollte besser die Finger von dieser Geschichte lassen.

Insgesamt ist Die geheimen Talente des Piet Barols ein durchaus lesenswerter Roman, dessen Genuss allerdings durch ein paar Kritikpunkte geschmälert wird. Doch trotzdem darf man auf die Fortsetzung der Geschichte um Piet Barol gespannt sein, an der der Autor bereits schreibt.

Die geheimen Talente des Piet Barol

Richard Mason, C. Bertelsmann

Die geheimen Talente des Piet Barol

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