Die Knoblauchrevolte

  • Zürich: Unionsverlag, 2009, Seiten: 383
  • Tʻai-pei shih : Hung fan shu tien, Min kuo 78, 1989, Titel: 'Tʻien tʻang suan tʻai chih ko', Seiten: 374, Originalsprache
Die Knoblauchrevolte
Die Knoblauchrevolte
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Sebastian Riemann
831001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2013

Bis das Blut nach Knoblauch stinkt

Chinas ländliche Regionen hatten in den letzten Jahrzehnten viel zu ertragen und waren Austragungsort mehrerer politischer und militärischer Kämpfe, die das Leben der Bevölkerung immer wieder bis in die Grundfesten erschütterten. Mo Yans Roman über eine Region voller Knoblauchbauern erzählt von großen Veränderungen und persönlichen Schicksalen, die sich dem nationalen Einfluss nicht erwehren können. Gewaltexzesse und Mundgeruch vermischen sich zu einem deftigen Leseerlebnis.

Die Geschichte dreht sich um Gao Ma, einen alleinstehenden Bauern, und Jinjü, Tochter eines Bauern der versucht sie in einer dreifachen Hochzeit an den Mann zu bringen. Jedoch kommt es eines Tages bei der Feldarbeit zu einer schicksalhaften Begegnung zwischen den beiden, sie verlieben sich und werden fortan zum Hindernis für die geplante Hochzeit. Jinjüs Vater, genannt Onkel Vier, versucht jedoch mit aller Entschlossenheit die Verliebten auseinander zu bringen, denn die geplante Hochzeit dreier Paare ist die einzige Möglichkeit den ältesten Sohn unter die Haube zu bringen. Dieser leidet unter einem hinkenden Bein und kann auf normalem Wege keine Frau finden, die bereit wäre ihn zu ehelichen. Der zweite Bruder könnte nicht heiraten, wenn der Ältere keine anerkannte Ehe eingeht, und somit finden sich beide Brüder als Komplizen des Vaters und erbitterte Gegner der Schwester und Gao Mas. Als Tochter und Geliebter zusammen ihre Liebe gestehen kommt es zur ersten Eskalation, Gao Ma wird nahezu tot geschlagen und Jinjü verletzt und eingesperrt wie ein Tier. Die tragische Liebesgeschichte der beiden nimmt ihren Lauf und über die Zeit müssen sie immer wieder große Qualen erleiden. Zu spät bricht der Widerstand der Familie, um den Verliebten ein gemeinsames Leben zu ermöglichen. Resigniert beklagt Jinjü, dass sie mit Gao Ma noch nie einen schönen Tag verlebt hat. Ihre Liebe brachte nur Elend hervor und kurz bevor sich dies ändern und beide zusammenfinden sollen schlagen die Wellen der Knoblauchrevolte hohe Wellen und reißen das Schicksal und die Geschichte des jungen Paares auf die Ebene der Kreisverwaltung.

Die Gemeinden in Gaomi wurden angewiesen Knoblauch anzubauen, um zur Volkswirtschaft beizutragen und mit der Aussicht auf Wohlstand, da ihnen die Kommunistische Partie versprach das Produkt abzunehmen. Die planwirtschaftlichen Maßnahmen sind jedoch zum Scheitern verurteilt, da Parteifunktionäre und Beamte der Kreisverwaltung in erster Linie an ihr eigenes Wohl denken und bereit sind kleine Bauern mit leeren Händen stehen zu lassen. Die erhofften Einnahmen bleiben für viele Familien aus und allzu offensichtlich sind die Ursachen dafür. Als die Kreisverwaltung den Ankauf von Knoblauch für beendet erklärt und viele Bauern einer Existenz bedrohenden Krise entgegenblicken kommt es zur offenen Revolte gegen die Obrigkeit, das Verwaltungsgebäude wird gestürmt und in Brand gesetzt. Die aufgebrachten Dorfbewohner haben nur wenig zu verlieren, denn außer Knoblauch haben sie so gut wie nichts angebaut, sie erkennen dass die Leitlinien der kommunistischen Wirtschaftsplanung nicht in eine bessere Zukunft für alle, sondern zu Wohlstand für einige Wenige führen.

Mo Yan wurde in Gaomi im Jahre 1955 geboren, erlangte als Schriftsteller weltweiten Ruhm als er 2012 den Nobelpreis für Literatur erhielt und löste damit im Westen, in nennenswertem Maße auch in Deutschland, viel Diskussion über seine Person und seine Nähe zur Kommunistischen Partei aus. Chinesische Künstler wie Ai Weiwei und Liao Yiwu verurteilten die Vergabe des Nobelpreises an Mo, ihre Kritik wurde bereitwillig in den deutschen Medien aufgenommen und weitete sich schnell zu einem Kampfthema zwischen verschiedenen Lagern des Kulturbetriebs aus. Nachdem die politisierte Diskussion um den Schriftsteller abkühlte begannen die Stimmen einzusetzen, die sich seines literarischen Werkes annahmen und sein Schaffen würdigten.

Der Knoblauch in der Erzählung ist vielfältig, er tritt als Agrar- und Wirtschaftsprodukt auf, ist Zutat nahezu aller Gerichte, welche die Bauern in Gaomi zubereiten, und er stinkt. Immer wieder löst der Geruch von Knoblauch Übelkeit aus, die Leute haben ihn über, können ihn nicht mehr sehen und wollen ihn noch viel weniger in ihrem Essen schmecken. Er ist ihr Schicksal, welches sie nicht beeinflussen können und Ausdruck ihrer fehlenden Freiheit. Die Kommunistische Partie machte sie zu Knoblauchbauern und Knoblauchessern und den unbedeutenden Bauern bleibt keine andere Wahl als dieses Los anzunehmen und alle Konsequenzen zu ertragen. Knoblauch findet seinen Weg in alle Aspekte des Alltags, so auch in die Liebe zwischen Gao Ma und Jinjü, deren Hochzeit von der Knoblauchernte abhängt und deren Küsse oft von einem Aufstoßen mit anschließender Knoblauchwolke begleitet werden.

Auch wenn politische Ideologien einen wichtigen Bestandteil bei der Kontextualisierung der Erzählung bilden sind zwischenmenschliche Beziehungen das ausschlaggebende Moment in der Konstituierung der nahenden Katastrophe. Egal ob im Zuge der Bodenreform, der Kulturrevolution oder der wirtschaftlichen Neuordnung in Folge der dritten Plenarsitzung der Kommunistischen Partei, es bleiben die Niedertracht der Menschen und der ungehemmte Machtmissbrauch, die Leid und Qual verursachen. Die Figuren des Romans werden ins Unglück geworfen und Gewalt ausgesetzt, weil persönliche oder familiäre Interessen ohne Rücksicht verfolgt werden. Naturgemäß wirkt die Gewalt von oben nach unten, die Mächtigen beuten die Machtlosen aus, der Vater foltert die widerspenstige Tochter, die Polizei misshandelt ihre Gefangenen und die Lebenden verkaufen die Toten für schnelles Geld. Gefangen in zahlreichen Teufelskreisen bleibt dem einzelnen Bauern nichts als sein Los mit größter Geduld zu ertragen. Das Buch erteilt somit eine Absage an (politischen) Idealismus, ohne jedoch Pragmatismus zu befürworten. Ein düsteres Bild, welches die Frage nach Auswegen aufwirft und den Leser auch einmal deprimieren kann. In der Figur des blinden Sängers Zhang Kou scheint der Autor letztlich doch noch eine letzte Möglichkeit zur Flucht vor der Pein zu geben. Gemäß seiner Profession ist der Sänger dem Alltag der Knoblauchbauern entrückt und man möchte hoffen, dass wenigstens er von der Gewalt verschont bleibt: er ist doch bloß ein armer, alter, blinder Sänger. Aber auch er leidet unter den gleichen Nöten wie seine Mitmenschen und so werden seine Lieder zum Soundtrack des gequälten Daseins der Landbevölkerung, die unter der Last der Planwirtschaft und des Machtmissbrauchs zugrunde geht.

Mo Yan lässt alle Charaktere zu Grunde gehen, niemand aus der Landbevölkerung kann der apokalyptischen Mischung aus Gewalt, Knoblauch und Unterdrückung entgehen. Das Leben ist nicht lebenswert, schreit das Buch mehrfach und stellt auch den zuversichtlichsten Leser auf die Probe. Ein starkes, mitunter herbes Buch, welches Kritik und Erzählkunst verbindet, das alltägliche Leben von kleinen Bauern eindrucksvoll wiedergibt und ein schwer verdauliches Bild der menschlichen Existenz zeichnet.

Die Knoblauchrevolte

Mo Yan, Unionsverlag

Die Knoblauchrevolte

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