Predigt auf den Untergang Roms
- Secession Verlag für Literatur
- Erschienen: Januar 2013
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- Zürich: Secession Verlag für Literatur, 2013, Seiten: 208
- Frankreich: Actes Sud, 2012, Titel: 'Le sermon sur la chute de Rome', Originalsprache
Philosophen im Herzen, Kneipiers im Leben.
Ja, publiziert wird en masse. Alles was zwischen zwei Buchdeckel passt, wird auf den Markt gebracht. Mittelmaß oft nur. Serienmäßige Langeweile. Oder Texte, die sich einfach so weglesen lassen, kurz berühren, um rasch wieder vergessen zu werden. In all diesem Bücherzirkus taucht ein Jérôme Ferrari auf, taucht auf und bleibt, weil seine Texte begeistern. Faszinieren, zum Nachdenken anregen. Ferrari hat ihn zu Recht bekommen, den Prix Concourt, die wichtigste literarische Auszeichnung Frankreichs, für seinen großartigen Roman Predigt auf den Untergang Roms.
Ferrari, im Hauptberuf Philosophielehrer, hat eine Geschichte zusammen gesponnen, deren Protagonisten Philosophen im Herzen sind - und Kneipiers im Leben. Philosophiestudent Matthieu, Fachmann auf dem Gebiet Leibnitz, und Libero, Freund aus Kindertagen mit starker Affinität zu Augustinus, eröffnen eine Kneipe in einem kleinen, fernab des Meeres gelegenen Kaffs, auf Korsika. Alleine die Kneipe hat eine Geschichte. Pächter gehen und kommen. Zuletzt ein scheinbar nettes Ehepaar mit Kindern und altersschwacher Mutter. Ehefrau, Kinder und Oma ziehen weiter, der Pächter bleibt und wird als Angestellter von Matthieu und Libero übernommen. Sonst bleibt ihm auch nichts, außer am Leben zu verzweifeln.
Und eben genau darum geht es bei Ferrari: Um die Grundgesetze des Lebens. Darum, das Glück nicht ewig währt und darum, dass jeder schönen Stunde eine traurige folgt, dass alles was sich zum Besten kehrt doch letztendlich im Chaos endet. Aber Ferrari verpackt es besser. Feiner. Sensibeler. In dieser wunderbaren Übersetzung von Christian Ruzicska folgt eine biblische Gleichung der nächsten. Alles Irdische, vermittelt der Roman, ist vergänglich, muss zugrunde gehen – ein Gesetz der Weltgeschichte, eines das Ferrari in seiner Funktion als Lehrer der Philosophie wohl gar nicht anders vertreten kann. Was schon einmal geschah, die Geschichte die jeder kennt, auch die kehrt zurück, weil die Menschen nicht aus ihrer Vergangenheit lernen. Und schon gar nicht aus ihren Fehlern.
Matthieu und Libero zumindest haben ihre Studien abgebrochen, um im Sinne der Leibnizschen Lehre in ihrem Dorf die "beste aller möglichen Welten" zu errichten. Ein Vorhaben, das mit Wohlwollen beginnt, rote Zahlen schreibt, begeistert. Selbst in den Stunden, in denen sonst eigentlich niemand eine Kneipe aufsucht, in den leeren Stunden, kommen Gäste. Der Trick der beiden Macher sind die Kellnerinnen. Verlockend, jung, schön, um das Reagieren auf Avancen nicht verlegen. Da wird sich auf den Schoß gesetzt und zwischen die Beine gefasst. Das Geschäft läuft. Läuft auch schief. Gibt ihnen ein Freund doch mit auf den Weg, dass die Kellnerinnen für die Barbetreiber Tabu sein sollten.
"Und vor allem dürft ihr die Kellnerinnen nicht ficken, klar."
Matthieu hält sich nicht an die Regeln, nistet sich ein bei den Frauen, auch um die Geschichte seiner eigenen – tief im Clinch befindlichen - Familie zu verdrängen.
Libero ist es schließlich, der merkt, dass ihm das Lebe aus den Fingern zu gleiten scheint. Er sehnt sich nach Uni, nach Denken, nach mehr. Matthieu indes hat sich niedergelassen in dem Leben, zwischen Pastis, Rotwein und Häppchen. Libero stellt fest, dass seine Kneipe lediglich ein Hort der Geilheit ist, der Begierde, ein Ort, wo Männer Frauen anfassen, weil sie in ihrem Leben sonst keine Abwechslung mehr finden. Libero weiß, dass seine Kneipe von der Anziehungskraft lebt, "die die Anwesenheit von vier jungen, unverheirateten Frauen auf die von Kälte und sexueller Not verwüsteten Gegend ausübte, um die Bar zu füllen, selbst mitten im Winter."
Ein Dorf wird zur Bühne der Welt. Nur, die Welt bemerkt es nicht. Die Welt nämlich, schleicht sich über viele Generationen in den Roman ein. Erzählt von Kriegen, von Trauer, vom Warten und vermissen und davon, dass Menschen miteinander Kinder zeugen, die sie lieber nicht hätten zeugen sollen, weil sie miteinander verwandt sind. Abgründe öffnen sich und proklamieren letztlich den Untergang.
Ferraris Roman finden kein Pendant. Ein bisschen vom Untergang steckt vielleicht in Jeffrey Eugenides wunderbarem Roman "Middlesex", aber nur ein bisschen, der Inzest-Geschichte wegen und ein wenig wegen der historischen Dichte. Ferrari indes hat noch mehr geschafft: Hat die Sprache der Gosse mit der der Philosophie verband, hat sich mit menschlichen Absurditäten ebenso beschäftigt, wie mit philosophischer Hochkultur.
Sechs Romane hat der 1968 geborene Autor bereits verfasst. Neben Predigt auf den Untergang Roms ist erst der Vorgänger mit Titel Und meine Seele ließ ich zurück (ebenfalls empfehlenswert) ins Deutsche übersetzt worden. Sollte er jetzt den ganzen Rummel um seine Person gut überstehen, nicht abheben, sind von Jérôme Ferrari mit Sicherheit noch viele gute, tiefgründige und nachdenklich stimmende Romane zu erwarten. Romane eben, die länger im Kopf haften bleiben, als der gemeine danieder geschriebene Einheitsbrei.
Jérôme Ferrari, Secession Verlag für Literatur
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