Die fremde Tochter

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2013
  • 0
  • München: dtv, 2013, Seiten: 384, Originalsprache
Die fremde Tochter
Die fremde Tochter
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Rita Dell'Agnese
781001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2013

Nichts ist so, wie es scheint

Ist es eine Liebesgeschichte, ein Krimi oder einfach ein belletristischer Roman, den die Autorin Anja Jonuleit mit Die fremde Tochter vorlegt? So ganz schlüssig lässt sich diese Frage nicht beantworten. Denn Jonuleit hat einige verschiedene Elemente in ihren jüngsten Roman gepackt, so dass eine klare Zuordnung kaum möglich ist. Zentrale Figur des Romans ist der Teemeister Monsieur Cho. Seit vielen Jahren betreibt der Chinese in Paris ein eigenes Geschäft. Als eine junge Frau auftaucht, um sich von ihm eine Teezeremonie bereiten zu lassen, spürt Monsieur Cho, dass sein Leben aus den Fugen gerät. Denn die geheimnisvolle Besucherin Lin verabschiedet sich von Monsieur Cho mit den Worten "Ich danke Ihnen, Vater!" Damit rührt sie an dem wunden Punkt in Chos Leben. Denn einst gab es da die junge Französin Émilie, eine französische Studentin, der er in China begegnete. Als die junge Frau plötzlich aus seinem Leben verschwand, gab Cho seine Heimat auf, um in Paris nach seiner Liebe zu suchen. Die kurze Begegnung mit seiner Tochter Lin lässt den ganzen Schmerz neu aufflammen. Besonders, da Lin nach dem Besuch bei ihrem Vater wie vom Erdboden verschluckt scheint. Cho macht sich auf den Weg, seine Tochter, aber auch seine große Liebe Émilie zu suchen – und stößt auf eine unglaubliche Geschichte.

Einerseits ist es die Welt des Teehandels, in die Anja Jonuleit ihre Leser einführt. Andererseits öffnet sie aber auch eine Türe zu gesellschaftlichen Abgründen in Frankreich. Es sind gleich mehrere komplexe Themenbereiche, die im Laufe der Geschichte gestreift werden oder vertieft zum Zuge kommen. Obwohl vieles davon in Verdacht kommen könnte, klischeehaft zu sein, umschifft Anja Jonuleit diese Klippe souverän. Sie spricht Themenbereiche wie Drogensucht, Standesdünkel oder sexuelle Abgründe an, lässt ihnen aber nur so viel Raum, dass sie sich stimmig in die Geschichte einfügen und nicht zu dominant werden. Das schafft sie unter anderem dank einigen unerwarteten Wendungen, die der Geschichte gut tun und vom vermeintlich erkannten Verlauf der Story plötzlich wieder weg führen. Anja Jonuleit verleitet ihre Leser dazu, sich immer wieder auf die neue Situation einzulassen und ganz in ihrer Geschichte aufzugehen.

Geschickt spielt Anja Jonuleit mit dem Wechsel der Erzählebenen. Hauptstrang ist die Gegenwart in Paris – hier erleben die Leser mit, wie verzweifelt Monsieur Cho nach einer Erklärung sucht, einerseits, was das Verschwinden seiner Tochter betrifft, andererseits aber auch, was Émilie angeht. Dass er dabei auf eine Mauer des Schweigens stößt, mag nicht weiter verwundern. Für die zweite Erzählebene – die unter anderem aus Sicht Émilies dargestellt wird – greift Anja Jonuleit auf die Vergangenheit zurück und lüftet nach und nach das Geheimnis der großen Liebe zwischen Monsieur Cho und Émilie. Dabei geht sie ausgesprochen feinfühlig zu Werk, was die Glaubwürdigkeit der Geschichte unterstreicht. Die Autorin macht gleichermaßen die unterschiedliche Kultur der beiden Liebenden sichtbar, wie auch die Verlorenheit, mit der Émilie auf die völlig fremde Kultur in ihrer chinesischen Verbannung reagiert und die sich erst verliert, als sie durch Cho die Chance erhält, China und seine Menschen aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Die Autorin hat also einen ausgezeichneten Weg eingeschlagen, um eine nachhaltige und beeindruckende Geschichte zu erzählen. Die von ihr gesteckten Leitplanken nutzt sie dabei geschickt und überzeugend. Sie erzählt in einem angenehmen Tempo, lüftet im richtigen Moment den Schleier über den Geheimnissen und bietet dem Leser gerade genug Figuren und Nebenfiguren an, dass die Story lebendig bleibt aber nicht überladen wirkt. Doch leider bleiben einige der Figuren dabei zu leblos, um vollständig überzeugen zu können. So geschickt die Protagonisten platziert sind, so hätten sie zumeist noch etwas mehr Konturen vertragen können. Auch bringt Anja Jonuleit leider den Zufall etwas zu exzessiv ins Spiel, nicht alles wird dadurch erklärbar und einzelne Entwicklungen wirken um eine Spur zu bemüht.

Grundsätzlich erzählt Anja Jonuleit eine spannende und unterhaltende Geschichte, die eindrücklich aufzeigt, was passieren kann, wenn jemand – selbst in bester Absicht – ins Leben anderer eingreift. Sie verschleiert, taktiert und überzeugt auf weite Strecken.

Die fremde Tochter

Anja Jonuleit, dtv

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