Das Gewicht des Himmels

  • New York: Simon & Schuster, 2013, Titel: 'The Gravity of Birds', Originalsprache
Das Gewicht des Himmels
Das Gewicht des Himmels
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Rita Dell'Agnese
871001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2013

Dieser Roman hat Ecken und Kanten

Nein, einfach macht es Tracy Guzeman ihren Leserinnen und Lesern nicht. Sie begrüßt ihr Publikum mit einem melancholischen Einstieg und legt damit gleich mal ihre Karten auf den Tisch: Diese Geschichte will erarbeitet sein. Stück für Stück muss sich der Leser hineingeben in diese Welt, die mal bunt und üppig ist, um gleich wieder in düsteren Farben zu versinken. Stück für Stück hebt Guzeman den Vorhang, der eine tragische Geschichte verbirgt. Nichts ist zum Schluss mehr so, wie es zu Beginn den Anschein machte. Zunächst wird sich der Leser darüber klar werden müssen, wer denn nun die tragende Figur des Romans sein soll. Zur Wahl stehen der am Ende seines Lebens stehende Maler Thomas Bayber und das Schwesternpaar Natalie und Alice. Jeder der drei trägt auf seinen Schultern das Gewicht des Himmels – jeder auf seine eigene Art. Es ist ein eigenwilliger Tanz, der die drei zu immer wieder schwierigen Begegnungen zwingt.

Der seinem Ende entgegen sehende Thomas Bayber beauftragt seinen langjährigen Freund und Mäzen Dennis Finch, ein unbekanntes Gemälde aus dem Jahr 1963 auf den Markt zu bringen. Finch muss seinen Zorn und seine Enttäuschung bewältigen – er glaubte, das gesamte Schaffen Baybers katalogisiert zu haben und muss nun erkennen, dass es Werke gibt, die der Künstler vor ihm verheimlicht hat. Auf Wunsch Baybers schaltet Finch den jungen Kunstexperten Stephen in die Sache ein. Stephen soll nicht nur die Echtheit des nun aufgetauchten Gemäldes bestätigen, er soll zusammen mit Finch auch zwei zum Triptychon gehörende Bildtafeln aufstöbern. Nur wenn da Triptychon vollständig ist, will Bayber einem Verkauf endgültig zustimmen. Das Mittelstück des Triptychons zeigt die Kessler-Schwestern Natalie und Alice. Je näher sich Stephen mit dem vorhandenen Gemälde befasst, desto deutlicher wird für ihn, dass die beiden fehlenden Bildtafeln eine ganz spezielle Kraft haben.

Die Autorin siedelt ihren Roman zwar in der Kunst-Szene an, fordert jedoch von ihren Lesern keine Affinität zur Malerei. Wo nötig erklärt sie Vorgänge, dies in einer genügend kurzweiligen Art, um nicht den Anschein einer Belehrung zu erwecken. Dennoch wird wohl mancher, der die besonderen Farben in dieser facettenreichen Geschichte entdeckt hat, Bilder künftig mit anderen Augen betrachten. Thomas Bayber ist in seiner Extravaganz eine – wenngleich düster – schillernde Romanfigur. Nicht anders steht es um die Schwestern, die in einer  verzehrenden Hassliebe aneinander gekettet sind und sich nicht voneinander zu lösen vermögen. Dieses Dreieck ist wegweisend für den ganzen Roman. Tracy Guzeman schafft es dabei ausgezeichnet, ihre Figuren immer nur um wenige Millimeter zu verschieben, inne zu halten und die dadurch neu entstandene Konstellation zu beschreiben. Dadurch gibt sie dem Roman ausgeprägte Ecken und Kanten. Die Leser werden sich nicht gemütlich zurücklehnen und sich in die Geschichte sinken lassen können.

Tracy Guzeman geht bei der Ausarbeitung ihrer Figuren stark an Grenzen und gibt ihnen damit die Tiefe, die es braucht, um der Geschichte Nachhall zu verleihen. Überall setzt die Autorin Farben ein – auch wenn es teilweise düstere Töne sind, so verzichtet sie doch konsequent auf Schwarz-Weiß. Damit fordert sie heraus und macht es dem Leser nicht ganz einfach, sich auf die gedankliche Einteilung der Protagonisten festzulegen. Diese diffuse Ortung aber verunmöglicht es den Lesern, den Text zu überfliegen. Er muss sich immer wieder neu auf die einzelnen Figuren einlassen und entdeckt an ihnen Wesenszüge, die er nicht vermutet hätte. Auf diese Weise kommt der Leser sehr dicht ans Geschehen heran, auch wenn die kühle Distanziertheit von Alice, die eine prägende Rolle spielt, der Nähe Grenzen setzt.

Mit ihrem Debüt-Roman hat Tracy Guzeman bewiesen, dass sie reif dafür war, die Kurzgeschichten hinter sich zu lassen und einen vielschichtigen und faszinierenden Roman zu schreiben. Ihre etwas üppige Sprache passt gut zum gewählten Setting, und unterstreicht die Kraft der Geschichte. Ein kleiner Schönheitsfehler im Gesamtbild ist wohl einzig ein fehlendes Personenregister, das dem Leser die Orientierung etwas erleichtert hätte.

Das Gewicht des Himmels

Tracy Guzeman, Simon & Schuster

Das Gewicht des Himmels

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