Für den Anfang fünf Schüsse ins Herz
Während alle in Richtung des Deutschen Buchpreises schielen, zieht eine junge Autorin ganz still und leise an den vermeintlich großen des Literaturbetriebes vorbei: Shani Boianjiu. Gerade einmal 26-jährig hat die Israelin einen Roman vorgelegt, der glauben lässt, die junge Frau habe ihr Leben bereits gelebt: Derart reflektiert und selbst bewusst berichtet Boianjiu über ihre Zeit beim Militär und darüber, vom Mädchen zur Frau zu werden. Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst ist der leicht gestelzt wirkende Titel des Buches, der nur im Ansatz als autobiografisch einzustufen ist.
Shani Boianjiu ist in Westgaliläa aufgewachsen. In einem kleinen Dorf an der Grenze zum Libanon. Und eben dort spielt auch ihre Geschichte. Lea, Avishag und Yael sind die drei jungen Protagonistinnen, die direkt von der Schulbank aus zum Militärdienst wechseln. Wechseln müssen. Denn: Gleich nach der Schulzeit, mit 18, 19, so ist es üblich, tragen auch die Mädchen für zwei Jahre die olivgrüne Uniform und leisten ganz unterschiedliche Dienste.
Der Krieg ist nicht neu für Lea, Avishag und Yael. Sie kennen die Geräusche, wenn Bomben einschlagen, wenn sich der Himmel verdunkelt, sie in Deckung gehen müssen, weil es wieder irgendwo knallt. Sie wissen, wie der Alarm klingt, der sie auffordert, sich in Sicherheit zu bringen. Sie wissen auch um den Tod, der so manch einen Miltärdienstleistenden viel zu früh ereilt. So wie Yaniv. Er stirbt nach einer Messerattacke.
"Als ich ungeduscht im Bett lag, hörte ich sie sagen, dass Yanivs Hals von dem Messer, mit dem der Palästinenser ihn umgebracht hatte, fast durchtrennt worden war..."
Boianjiu beschreibt das Grauen in einer Sprache, die fast zu sachlich scheint für das Grauen des Krieges. Sie schildert Situationen, in denen schwangere Frauen "mit einem neun Monate alten Fötus im Bauch und der Bombe mit einem Durchmesser von dreißig Zentimetern unter der Transportliege" versuchen, einen Checkpoint zu passieren. Ohne Emotionen. Der Krieg kennt keine Emotionen, oder doch?
Doch, die kennt er. Dann etwa, als die Langeweile die Mädchen dazu treibt, sich nackt auf dem Wachturm zu sonnen, beobachtet von männlichen Augen, was ihnen schließlich viele Wochen Gefängnis einbringt. Nicht schlimm finden sie: Mehr Langeweile, als stundenlang auf Wachtürmen herum zu stehen, kann es nicht geben. Doch! Darauf zu warten, dass ein Telefon klingelt. Ein Sorgentelefon für eines der Nachbarländer. Einen ganzen Arbeitstag lang ein rotes Telefon anzustarren und dann noch zu hoffen, dass es nicht klingeln möge. Klingeln hieße Stress, was auch keiner mag. Auch Bildschirme gilt es stundenlang zu fixieren. So lange, bis kleine Pixel zu beweglichen Figuren werden. Aber nur in der Fantasie, im Wahn eines langen Arbeitstages. Krieg bedeutet warten. Warten darauf, dass etwas passiert, von dem man sich eigentlich wünscht, dass es nicht passieren möge.
Die Mädchen halten aus, werden ausgehalten. Verlieben sich und werden einfach genommen. Sexuelle Übergriffe scheinen an der Tagesordnung, zumindest in manchen Stützpunkten. Die Autorin schildert sie unverblümt. Schreibt, welch schweren Stand so manches Mädchen beim Militär hat. Sie schildert diese Szenen roh, grob, lässt die Mädchen ohne Worte alleine zurück. Nur mit sich selbst. Pläne schmiedend, wie sie der Rohheit der Männer entkommen können. Und der Babys, die dabei entstehen.
Zunächst beginnt der Krieg im Spiel. Da wird noch über Abkürzungen doziert: PLO, SAM, IAF. Panzerfaust-Kinder werden in der Schule als Thema behandelt. Sie sterben oft. Tod im Nebensatz. Yael etwa verliert ihren Helm und muss zur Strafe Boris das Schießen beibringen. Boris wurde von seiner Einheit auf dem Stützpunkt zurück gelassen, weil er es wirklich nicht kann:
Schießen. Die beiden jungen Soldaten wechseln vom Betonplatz in den Dreck. "Ich übe nicht gerne auf Beton", sagt Yael. "Kriege werden nicht auf Beton ausgetragen."
Später, aber noch im gleichen Kapitel, richtet Boris, der mittlerweile schießen kann, sein Gewehr auf Kinder, die unerlaubt den Stützpunkt betreten.
Jedes der drei Mädchen erlebt Dinge, die auszuhalten schwer sind. Die Autorin selbst allerdings bleibt sachlich. Wählt ihre Worte unverblümt. Lässt die drei Mädchen verzweifeln. Lea beginnt in einer Traumwelt zu leben, Avishag landet im Militärgefängnis und Yael flüchtet sich in den Sex mit einem Rekruten. Und als alle meinen, es ist vorbei, fängt das Durcheinander und das Gefühlschaos erst richtig an.
Boianjiu, die bereits mit zahlreichen Kurzgeschichten von sich Reden macht, hat kein politisches Buch geschrieben. Dennoch stehen ihre Helden mitten drin im ewig währenden Konflikt, der kein Ende zu finden scheint, der zäh vor sich hinplätschert.
"Der Krieg hier kommt und geht nicht, er ist permanent"
, erklärt die Autorin, die in Harvard studierte, in einem Interview.
"Wir wachsen in der Gewissheit auf, dass Gewalt jederzeit möglich ist."
Eine erschreckende Feststellung einer jungen Frau, die eigentlich über das Leben schreiben sollte und nicht über den Tod.
Im November erscheint Boianjius Buch - sie hat es in Englisch verfasst - auf Hebräisch. Ein wenig Unwohl ist ihr davor.
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