Meine Schwiegermutter trinkt

  • München: Luchterhand Literaturverlag, 2013, Seiten: 384, Übersetzt: Martina Kempter
  • Turin: Einaudi, 2012, Titel: 'Mia suocera beve', Originalsprache
Meine Schwiegermutter trinkt
Meine Schwiegermutter trinkt
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Birgit Stöckel
631001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2013

Zwischen Gesellschaftskritik und Unterhaltung

Bei Vincenzo Malinconico ist der Name Programm, denn "malinconico" ist das italienische Wort für "melancholisch" oder auch "trübsinnig", "schwermütig". Eine Frohnatur ist der Protagonist in Diego de Silvas neuestem Roman Meine Schwiegermutter trinkt tatsächlich nicht, aber er hätte auch keinerlei Grund dazu, eine zu sein: Seine Frau hat ihn verlassen, nervt aber immer noch, seine Kinder sind nicht ganz einfach, seine neue Beziehung läuft auch nur suboptimal (woran er nicht unschuldig ist), als Anwalt ist er allenfalls mäßig erfolgreich (wenn überhaupt), seine Schwiegermutter mag er zwar gerne, aber auch sie ist anstrengend und zu allem Überfluss gerät er beim Einkaufen in ein richtiges Schlamassel: Ausgerechnet in dem Supermarkt, in dem er sich aufhält, nimmt nämlich der Bauingenieur Romolo Sesti Orfeo einen Mafioso als Geisel und will ihm vor laufenden (Überwachungs-)Kameras den Prozess machen. Und Malinconico mittendrin.

De Silva hält seinen Leser einen Spiegel der italienischen Gesellschaft (und nicht nur der) vor und legt den Finger auf einige wunde Punkte. Er zeigt die Schwächen des Justizsystems auf, lässt die Ohnmacht der Opfer spürbar werden und stellt geschickt die Frage nach der Selbstjustiz, ohne dabei mahnend, belehrend oder wertend zu sein.

Zudem spielt er auch mit der "Mediengeilheit" unserer heutigen Gesellschaft. Per Überwachungskamera wird der "Prozess" den Medien zugänglich gemacht – ähnlich einer der unsäglichen Fernsehgerichtssendungen, wie es sie im deutschen Fernsehen auch zuhauf gibt. Dass sich dabei nicht gerade die seriösesten Sender und Reporter in vorderster Reihe tummeln, dürfte keine große Überraschung bedeuten, und die Darstellung dieser Reporter und der Formate ließen sich 1:1 auf deutsche Verhältnisse übertragen.

Allerdings nimmt der Prozess nicht den Großteil des Romans ein, auch wenn der Text auf der Umschlagsinnenseite sowie einige Inhaltsangaben im Internet anderes suggerieren. Denn de Silvas Protagonist Vincenzo Malinconico neigt zu ausschweifendem Erzählen und gerät dabei gerne vom Hundertsten ins Tausendste, weil er immer wieder auf neue, verfolgenswerte Gedanken stößt, an denen er den Leser, den er auch gerne direkt anspricht, teilhaben lässt.

Das passiert auf sehr charmante und amüsante Art und Weise, die einen immer wieder zum Schmunzeln und Lächeln bringen und somit den Unterhaltungswert dieses Buchs steigern. Allerdings fällt es damit auch schwer, dem roten Faden zu folgen, beziehungsweise diesen überhaupt erst einmal zu finden. Oft genug muss man innehalten, wenn die Handlung zu dem "Prozess" oder zu anderen bereits erwähnten Geschichten zurück springt, und fragt sich, was genau hier als letztes passiert ist und muss auch das ein oder andere Mal zurück blättern, um den Anschluss nicht zu verlieren. Das bringt Unruhe in den Lesefluss.

Insgesamt ist der Spagat zwischen den ernsten Themen – die Korruptheit des italienischen Justizsystems sowie die Verhältnisse in den heutigen Medien – und den zwar nicht immer lustigen, aber sehr humorvoll formulierten Erinnerungen und Gedankenläufen Malinconicos nicht sonderlich gelungen.

So amüsant die Abschweifungen auch sind und so sehr man dadurch auch ein besseres Bild von dem Protagonisten bekommt, so sehr lenken sie auch von den brisanten Dingen ab und verwässern diese.

Insgesamt bleibt somit ein ganz netter, teilweise amüsanter, teilweise etwas verworrener Roman übrig, der nur gelegentlich zum Nachdenken über die heutigen gesellschaftlichen Umstände anregt und nicht lange im Gedächtnis bleibt.

Meine Schwiegermutter trinkt

Diego De Silva, Luchterhand Literaturverlag

Meine Schwiegermutter trinkt

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