Ich glaube nicht ans Schicksal
Parfumeurin Alice Pendelbury hält nichts von Wahrsagerei. Gerade deshalb drängen sie ihre Freunde auf dem Jahrmarkt in Brighton, sich von einer alten Zigeunerin die Zukunft vorhersagen zu lassen. Es soll nur ein Spaß sein. Alice begegnet der alten Frau mit großer Skepsis, vermag es aber nicht, ihre geheimnisvollen Worte ganz abzustreifen. Alices Nachbar Ethan Daldry, ein glückloser Maler, erkennt das Dilemma, in dem Alice steckt. Kurzerhand überredet er sie zu einem zweiten Besuch bei der Wahrsagerin – und später auch zu einer Reise nach Istanbul. Denn gemäß Vorhersage ist Alice nicht nur in der Türkei geboren, sie muss dort auch sechs Personen begegnen, bevor sie in der siebten jenen Mann erkennen wird, der zum Wichtigsten ihres Lebens wird. Obwohl nach wie vor skeptisch, ist Alice bereit, mit Ethan die Reise zu unternehmen. Denn als Parfumeurin ist sie an einem toten Punkt angelangt und erhofft sich durch die exotische Welt Istanbuls neue Impulse. Und auch Ethans Malerei soll durch die Reise Auftrieb erhalten. Er verfolgt mit der Reise jedoch noch ein ganz anderes Ziel: Wenn Alice in Istanbul dem Mann ihres Lebens begegnet, so will er die Gunst der Stunde nutzen, zurück nach London reisen und in ihrer Wohnung – der einzigen im ganzen Haus mit einem Glasdach – malen.
Der Autor Marc Levy ist für seine unkonventionellen Liebesgeschichten bekannt. Dieser Tradition bleibt er auch bei Die zwei Leben der Alice Pendelbury treu. Seine Protagonistin muss so einige Überraschungen hinnehmen, bis sie zum Ziel kommt. Dabei läuft Levy zur bekannten Hochform auf. Denn die Ereignisse, die das Leben der Alice Pendelbury prägen, kommen so unvermittelt daher und sind in ihrer Art so unglaublich, dass immer auch eine humorvolle Komponente mitschwingt. Oder wenigstens fast immer. Denn einiges, was Marc Levy hier in seinen Roman einbaut, hat auch einen durchaus ernsten Charakter. So thematisiert Levy etwa Völkermord, Krieg oder Homosexualität in einer puritanischen Gesellschaft. Genau diese Mischung aus einer an sich humorvoll aufbereiteten Geschichte mit Leichtgang und den "schweren" Themen ist dem Autor hier besonders gut gelungen.
Die absolute Stärke von Levys Roman ist aber einmal mehr die Charakterisierung der Figuren. Durch die unglaublichen Konstellationen und die verschiedenen Schauplätze vermag der Autor hier aus dem Vollen zu schöpfen. Alleine schon die Konstellation mit Alice Pendelbury und ihrem leicht düpierten Nachbarn Ethan Daldry ist köstlich. Die beiden facettenreichen Figuren wachsen dem Leser rasch ans Herz und ihre ständige Kabbelei, die eine augenzwinkernde Wiedergabe einiger britischer Eigenarten darstellt, ist erfrischend zu lesen. Ans Herz wachsen wird dem Leser jedoch auch der beste Fremdenführer Istanbuls, Can. Er ist eine der tragenden Figuren, zunächst etwas zu glatt und undurchsichtig, dann aber in seiner unverfrorenen Art durchaus herrlich und stimmig. Doch auch bei den Nebenfiguren spart Marc Levy nicht mit Facettenreichtum. So entsteht ein bunter Reigen von Protagonisten, die den Roman nicht nur mit Leben füllen, sondern ihm auch eine erstaunliche Tiefe verleihen.
Marc Levys sprühende Art bekommt Die zwei Leben der Alice Pendelbury gut. Es ist eine in sowohl in der Länge angemessene als auch sprachlich wunderbar leichte Lektüre, die nicht erst erkämpft werden muss, um verstanden zu werden, sondern sich leicht und beschwingt lesen lässt. Dass es in der Geschichte vereinzelt etwas zu glatt geht und sich die verschiedenen Komponenten so nahtlos ineinander fügen, mag man angesichts des hohen Unterhaltungswerts des Romans verzeihen. Zu akzeptieren ist wohl auch, dass zwar die weniger leichten Themenbereiche angesprochen, aber nicht unbedingt vertieft werden. Vieles bleibt angedeutet und hätte noch etwas mehr Präzisierung ohne weiteres vertragen. Dennoch: Mit diesem Roman stellt Marc Levy einmal mehr unter Beweis, dass sein Erfolg niemals Eintagsfliege war und er es als ausgezeichneter Erzähler versteht, sein Publikum auch mit einem etwas tiefschürfenderem Thema noch zu faszinieren und zu unterhalten.
Gelungen ist schließlich auch das Cover, das dem Roman durchaus gerecht wird und auf eine erstaunlich gute Art wiedergibt, was den Leser erwartet. Eine Lektüre, die zwar kaum eine langanhaltende Wirkung haben wird, die aber auf jeden Fall vergnügliche und erstaunlich aufschlussreiche Lesestunden garantiert.
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