Feiert ein Häftling im Todestrakt Silvester?
An wen kann man sich wenden, wenn die eigenen Schuldgefühle drohen, einen zu zerdrücken? Keiner da ist, an den man sich wenden kann? Zoe Collins steht vor genau diesem Problem. Denn: Sie hütet ein dunkles Geheimnis, das keiner wissen darf. Nicht die Eltern, die Freunde, einfach niemand. Durch die Nonnen in der Schule wird sie auf einen zum Tode verurteilten Serienmörder in Texas aufmerksam, bei dem sie das Gefühl hat, dass er sie verstehen und Verständnis für ihre Situation haben wird. Denn irgendwie haben sie ja doch etwas gemeinsam, oder? Sie beginnt, ihm Briefe zu schreiben, in dem sie ihm Brief für Brief ihre Geschichte erzählt.
Zoe Collins, die eigentlich anders heißt, ist ein etwa 15 Jahre altes, englisches Mädchen. Sie geht in die Schule, trifft sich mit Freunden und schwärmt für Jungs. Ihre Familie, die aus den sich dauernd streitenden Eltern, der zehnjährigen Soph und der fünfjährigen, gehörlosen Dot besteht, hat wenig Verständnis für ihre Bedürfnisse. Vor allem ihre überbesorgte Mutter macht Zoe das Leben schwer, da sie schon klare Vorstellungen von der Zukunft ihrer Tochter hat, die - wie ihre Eltern auch - später Jura studieren soll. Doch dann passiert etwas Schreckliches und Zoe glaubt, ihre Schuldgefühle keinen Tag länger ertragen zu können. Aus Angst vor den Folgen, wenn sie sich jemandem in ihrer Umgebung anvertraut, beginnt sie eine einseitige Brieffreundschaft mit Stuart, der im Todestrakt eines amerikanischen Gefängnisses sitzt und ebenfalls einen unverzeihlichen Fehler gemacht hat. Denn: Wer wenn nicht er, wird sie verstehen können?
Annabel Pitcher, geboren 1982 in West Yorkshire, ist Autorin. Nach ihrem Studium der englischen Literatur arbeitete sie zunächst für eine Fernsehproduktionsgesellschaft, wurde danach im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig und lehrte anschließend Englisch. Mit der Veröffentlichung ihres ersten Buches gab sie ihre Lehrtätigkeit auf , um sich fortan hauptberuflich der Schriftstellerei widmen zu können. Ihr Debütroman Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims wurde direkt für 25 Preise nominiert. Ketchuprote Wolken ist ihr zweiter Roman.
Ketchuprote Wolken, geschrieben in Form eines Briefromans, ist die Geschichte eines jungen Mädchens. Zoe fühlt sich für den Tod ihres Freundes verantwortlich. Doch niemand weiß und keiner soll wissen, was wirklich in jener verhängnisvollen Nacht geschah. Als die Schuldgefühle drohen sie zu erdrücken, beginnt sie Stuart, einem zum Tode verurteilten Mörder, in vierzehn Briefen zu schreiben, was damals am ersten Mai tatsächlich passiert ist.
Annabel Pitcher ist mit ihrem neuesten Roman eine abwechslungsreiche und kreative Geschichte gelungen, die vor allem durch ihre Erzählweise und Sprache überzeugt. Aus der Perspektive Zoes, der Schreiberin der Briefe, schildert sie die Probleme des Teenagers und setzt sich aus ihrer Sicht mit Themen wie Liebe, Leidenschaft, Betrug und Schuld auseinander. Dadurch, dass die Auflösung der Ursache von Zoes Geheimnis erst ganz am Schluss erfolgt, baut sich eine gewisse Spannung auf, die regelrecht zum Weiterlesen animiert. Besonders unterhaltsam wird die Story durch die authentische Sprache Zoes und ihre teils naive Sicht, wenn sie sich über zu strenge Eltern aufregt oder sich Gedanken um das Leben im Todestrakt macht:
"Hi, Stuart, tja, eigentlich wollte ich dir mit meinem Glas Wasser zuprosten und dir ein frohes neues Jahr wünschen und so, aber vielleicht ist das gar keine gute Idee. Häftlinge bleiben an Silvester wahrscheinlich nicht bis Mitternacht wach, weil sie ja nichts zu feiern haben. Normalerweise denken die Leute an diesem Abend an die schönen Sachen, die sie im vergangenen Jahr erlebt haben, und freuen sich auf tolle Vorhaben im neuen Jahr, wie mit der Schule fertig werden, den Führerschein zu machen, zu studieren oder so. Häftlinge haben wohl eher nichts, worauf sie sich freuen können, es sei denn, die Leute im Todestrakt jubeln um Mitternacht, weil sie nun nicht mehr so lange auf ihre Hinrichtung warten müssen. Oder sie reißen die Arme hoch, weil sie noch ein Jahr in petto haben, obwohl sie gar nicht damit gerechnet hatten, und weil ein Jahr in einer Zelle, die nicht größer ist als ein Schuppen, immer noch besser ist, als tot zu sein."
Alles in allem ist Annabel Pitcher ein witziger bis schräger Roman gelungen, der nicht nur durch die immer wieder eingebauten Strichzeichnungen besticht. Als Erwachsenenroman weist die Handlung eventuell gewisse Schwächen auf, falls die Freude, sich mit Teenagerproblemen auseinanderzusetzen, nicht mehr ganz so stark vorhanden ist.
Fazit: Für 13 bis 17 Jährige top, darüber hinaus auch OK, jedoch mit Einschränkungen.
Deine Meinung zu »Ketchuprote Wolken«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!