Schlechte Aussichten

  • New York: Farrar, Straus, Giroux, 2013, Titel: 'Odd against tomorrow', Originalsprache
Schlechte Aussichten
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Kathrin Plett
811001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2013

Endzeit-Szenario im Zeitalter des Kapitalismus

Das Leben steckt voller Gefahren, der Tod lauert überall. Wie gefährlich eine Situation ist, lässt sich annähernd mathematisch berechnen, denn die ganze Welt folgt einer gewissen Logik, mit der man Gefahren voraussagen kann. Mitchell Zukor, einem talentierten Mathematiker, sind diese Zahlen in Fleisch und Blut übergegangen, denn er hat vor allem eins, eine Riesenangst vor der Zukunft, vor dem Leben, einfach vor allem. Alle Risiken des Lebens sind ihm vertraut, in seinem Kopf finden ständig Horrorszenarien statt, durch deren Hilfe er weiß, wo die größten Bedrohungen lauern. Natürlich hat er auch die Todesfalltabelle immer dabei, in der die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Unglücke angegeben sind (Tod durch Erdbeben: 1 zu 15359; Tod durch Flugzeugunglück: 1 zu 5862; Tod durch versehentliche Vergiftung: 1 zu 139). Doch, das Wissen um eine Katastrophe bedeutet längst noch keine Rettung.

Mitchell Zukor hat Angst, Angst vor der Zukunft. Je mehr er sich in die Logik des Untergangs vertieft, desto besser gelingt es ihm, seine Panik unter Kontrolle zu halten. Das Durchdenken von Naturkatastrophen, Kriegsausbrüchen oder ökologischen Kollapsen beruhigt ihn, denn so ist er auf jedes mögliche Szenario vorbereitet. Wen wundert es da, dass er in seinem Beruf als Risikoanalyst eine steile Karriere hinlegt und schnell zu den Besten gehört. Jeglicher Leichtsinn, jegliche Spontanität ist für ihn ein Graus, umso unvorstellbarer ist es für ihn, als er erfährt, dass seine ehemalige Studienkollegin Elsa trotz eines bedrohlichen Herzfehlers quasi als Aussteigerin fern ab der Zivilisation lebt. Zusammen beginnen sie einen Briefwechsel, in dem beide aus ihren Leben erzählen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Als Mitchells berufliche Prognosen einen albtraumhaften Höhepunkt erreichen, tritt ausgerechnet das ein, was er seinen Klienten orakelt hat: Ein riesiges Unwetter überspült Manhattan. Mitchell weiß, dies ist die Chance, in seinem Job alles erreichbare zu erreichen. Doch um welchen Preis?

Nathaniel Rich, geboren 1980, schreibt Essays und Rezensionen für verschiedene Magazine. Schlechte Aussichten ist sein zweiter Roman und zugleich sein erstes Buch in deutscher Übersetzung. Er lebt in New Orleans.

Nathaniel Rich erzählt in seinem Werk Schlechte Aussichten eine Mischung aus Endzeit-Szenario à la "The Day after Tomorrow" und kritischem Gesellschaftsporträt. Sein Protagonist Mitchell Zukor, der große Angst vor der Zukunft und den Gefahren des Lebens hat, entwirft für eine dubiose und profitgierige Versicherungsagentur Horrorszenarien, um Klienten dazu zu drängen, die Dienste seiner Firma in Anspruch zu nehmen. Als sich eine seiner Prognosen schließlich erfüllt, ist er gefragt wie nie und könnte aus dem Elend der Bevölkerung horrende Gewinne erzielen. Doch der Kontakt zu Elsa, die mit der Bedrohung lebt, jeden Augenblick sterben zu können und daher vor nichts Angst hat, lässt Zweifel in ihm aufkommen. Ist das Streben nach immer mehr Geld und höherer Sicherheit das, was er sich vom Leben erhofft?

Nathaniel Rich ist mit seinem Roman eine vielschichtige und interessante Geschichte gelungen, die gerade in der heutigen Zeit einige brisante Themen anspricht. Kritisch und scharf skizziert er ein Bild der Gesellschaft, die sich zwischen übertriebener Vorsicht und ständiger Lebensangst, der Gier nach Profit und dem eigenen Erfolg zu einer selbstbezogenen Allgemeinheit entwickelt hat. Auch Klimaveränderungen und Eingriffe in die Ökologie spielen in seinem Werk eine entscheidende Rolle. Sprachlich präzise und klar verständlich schildert Rich in seinem in drei Teile gegliederten Roman den Prozess seines Protagonisten, der sich vom ängstlichen, erfolgsgesteuerten Karrieristen zum Aussteiger und furchtlosen Idealisten entwickelt. "Analyse ohne Aktion", was er zu Beginn noch für eines seiner Probleme hält, kehrt sich schließlich ins Gegenteil um.

Der Autor schafft es, ernste Themen humorvoll darzustellen, was ihm durch die teils leicht ins ironische rutschende Darstellung seiner Hauptfigur gelingt:

 

"An jenem Vormittag war Mitchell wie ein Androide seiner Arbeit nachgegangen, hatte seine Katastrophenakten alphabetisch geordnet (Anthrax, Botulismus, hamorrhagisches Krim-Kongo-Fieber), Termine ausgemacht, seine Mailbox abgerufen."

 

Da die Story bis zum Schluss unvorhersehbar bleibt, animiert der Autor zum Weiterlesen.

Alles in allem ist Schlechte Aussichten ein abwechslungsreicher und lesenswerter Roman, der sich kritisch mit den Mustern der heutigen Welt auseinandersetzt. Nathaniel Rich skizziert ein Katastrophenszenario, welches nüchtern betrachtet gar nicht mal so unwahrscheinlich ist. Vielleicht nicht in Form einer Überschwemmung, dennoch sollte klar sein, dass gerade die immer schneller wachsenden Megacities auch eine immer größere Angriffsfläche bieten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Richs Geschichte nicht verwirklicht - und auch in Zukunft nur interessanter Lesestoff bleibt!

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