Wörterbuch der Liebe
- C. Bertelsmann
- Erschienen: Januar 2013
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- München: C. Bertelsmann, 2013, Seiten: 128, Übersetzt: Claudia Franz
- Mailand: Universale Economica Feltrinelli, 2010, Titel: 'Tutto torna', Originalsprache
Von der Begrenztheit der Wörter
Definition: (lateinisch definitio "Abgrenzung", aus de "(von etw.) herab/weg" und finis "Grenze") ist je nach der Definitionslehre, der hierbei gefolgt wird, entweder
die Bestimmung des Wesens einer zu erklärenden Sache
die Bestimmung eines Begriffs
die Feststellung eines tatsächlich geübten Sprachgebrauchs oder
die Festsetzung oder Vereinbarung eines solchen.
Laut Wikipedia ist eine Definition also eine von eindeutigem Charakter, schafft Klarheit und gibt den Dingen ihre Ordnung. Genau das ist es, was Diego, Professor für Sprachwissenschaft, an seiner Arbeit so schätzt und inzwischen auch seinem privaten Leben Sicherheit gibt: Präzise Definitionen geben ihm das gute Gefühl, sein Leben unter Kontrolle zu haben.
Als Diego während einer Zugfahrt von Rom nach Pisa Antonia kennenlernt, gerät er direkt in ihren Bann. Ihre Art fasziniert ihn, ist sie doch das komplette Gegenteil von ihm, der immer alles unter Kontrolle haben muss und großen Wert auf Sicherheit und Kontinuität legt. Diego verliebt sich in die intuitive, unkonventionelle und spontane junge Frau, die ihm Zugang zu einer für ihn bis Dato verschlossenen Welt gewährt, die so erfrischend anders ist als sein wissenschaftlicher Universitätsalltag. Auch mit Diegos dementer Mutter versteht sich Antonia auf Anhieb und findet rasch Zugang zu der alten Dame, zu der ansonsten nicht mehr viel aus der Außenwelt durchdringt. Diego ist glücklich. Als er kurze Zeit später erfährt, dass Antonia nicht die ist, für die er sie die ganze Zeit gehalten hat, bricht für ihn seine Welt - aus klaren Worten und eindeutigen Grenzen - zusammen. Seine Definition von Liebe ist zerstört und doch kann er Antonia nicht vergessen. Ist Liebe überhaupt in Worte zu zwängen?
In Diegos Leben hatte bisher alles seine Ordnung, alles lief nach Plan und seine Tage hatten eine feste Struktur. Als Antonia in sein Leben kommt, ist es wie ein Erwachen, sein ganzes Denken und Fühlen wird durch Gedanken und Gefühle an Antonia ersetzt. Umso tiefer ist schließlich der Fall, als er Antonias Geheimnis entdeckt und bemerken muss, dass seine komplette Beziehung auf Lügen aufgebaut ist. Mit "Wörterbuch der Liebe" ist Giulia Carcasi eine einfühlsame und zutiefst berührende Geschichte gelungen, die nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich überzeugt. Poetisch-philosophisch schreibt sie über Liebe und Verlust, Glück und Schmerz, Freude und Trauer, über alles, was ein Roman braucht, um tief ins Herz eindringen zu können. Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart heben sich in ihrem Roman auf. Denn: Nachdem Diego auf Antonia getroffen ist, hat sein Leben eine Bedeutung bekommen, die sein ganzes Leben auf den Kopf stellen soll. Es ist, als hätten sie sich schon immer gekannt:
"Tatsache ist, dass ich dir nichts über mich erzählen muss. Du warst und bleibst präsent in meinem Leben. Selbst aus der Ferne durchschaust du mich. Wie machst du das nur?, frage ich mich jedes Mal, wenn du etwas verstehst, was ich um jeden Preis vor dir verbergen möchte."
Carcasi zeigt mit ihrem Roman, wie Sprache den Inhalt wunderbar unterstützen und hervorheben kann. Präzise gelingt es ihr, sprachliche Stilmittel so mit der Handlung zu verknüpfen, dass beide miteinander verschmelzen und zu einem großen, in sich stimmigen Ganzen werden. Carcasis Sätze wirken poetisch und lassen den Roman zerbrechlich wirken, gleichzeitig entsteht eine Atmosphäre der Melancholie:
"Was bleibt vom Einzelnen, wenn am Ende des Tages Namen und Taten ausgelöscht sein werden? Hunderte von Fotos, ein ewiges Lächeln und Händeschütteln. Haben nur Distanz gehalten oder sind es auch oder vor allem die anderen, die sich ausgeklinkt oder das Thema gewechselt haben, aus lauter Angst, Teil eines viel zu großen, ziellosen Gedanken zu werden?"
Und am Ende? Am Ende bleibt die Begrenztheit der Wörter, die Erkenntnis, dass sich manche Dinge nicht in Worte fassen lassen, dass Liebe die Kraft hat, alle Grenzen zu sprengen und keine Definition der Welt in der Lage ist, sie zu fassen...
Alles in allem ist Giulia Carcasie ein eindrucksvoller und auf ganzer Linie überzeugender Roman gelungen. Sprachgewaltig und gefühlvoll verbindet sie Worte zu Poesie und lässt sie zu einer nachdenklich stimmenden Geschichte voller Hoffnung und Sehnsucht werden.
Ein empfehlenswerter Roman!
Giulia Carcasi, C. Bertelsmann
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